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Armin Anders Wien fragt | Raimund Bahr St. Wolfgang antwortet | 2016 | Fragen 14-31


Vierzehn
In welchen Formen, Genres, Arten von Literatur – um nur einige zu nennen: Lyrik, Prosa, Drama im allgemeinen oder Essay, Roman, Krimi, Kinderbuch im Spezifischeren – fühlst Du dich "beheimatet" bzw. welche sind mehr die Deinen als andere – und warum?

Beheimatet fühle ich mich im Essay und in der Lyrik. Ich kann sagen, ich habe alles ausprobiert, aber wirklich wohl fühle ich mich nur an den zwei Extrempolen der literarischen Formen. In der Lyrik, der Verdichtung der Emotionalität und im Essay dem intellektuellen Freiraum. Derzeit versuche ich mich auch am Erzählen. Ich glaube, dass ich das ganz gut beherrsche, aber ich habe nicht diese unbändige Fabulierfreude wie andere Autoren. Das mag auf den ersten Blick seltsam anmuten, wo ich doch einer bin, der die ganze Zeit nichts anderes tut, als mündlich zu fabulieren und sich in endlosen Monologen zu ergehen, aber im Schreiben suche ich die Präzision, die Kürze im einzelnen Text. Im Gesamtwerk bin ich natürlich weiterhin eine unglaubliche Plaudertasche. In den letzten Jahren hat meine Produktivität noch zugenommen, mein Schreiben sich dynamisiert, aber im Grunde auch gleichzeitig reduziert, in formaler und orthographischer Hinsicht. Lyrik und Essay verlangen, dass der Geist sich diszipliniert. Beide eröffnen dabei aber gleichzeitig einen Raum für die Umsetzung emotionaler Zustände in Reflexion.


Fünfzehn
Hast Du für deine literarische Arbeit bestimme Arbeitszeiten oder wie gehst Du überhaupt mit Deiner Zeit insgesamt in Bezug auf Kunst und Leben und Familie und Arbeit um – gibt es da ein Art Zeit-Reglement? Gibt es eine Art "gute Zeit" für die literarische Arbeit –morgens, abends, nachts, zwischendurch?

Für das literarische Arbeiten gibt es keine Arbeitszeit, wenn ich nicht schreibe, dann schreibt mein Kopf weiter. Das ist kein bewusster Prozess. Spätestens nach drei, vier Tagen werde ich unruhig, wenn ich nicht dazu komme meinen Kopf von den gedachten Schreibprozessen durch reale Handlungen zu entlasten. Früher, als ich noch keine Familie hatte, schrieb ich mittags und abends. Heute, mit Frau und Kindern, schreibe ich, wenn sich die Gelegenheit dazu ergibt. Zwischen Küche und Einkauf. Nachmittags, wenn die Kinder beschäftigt sind. Manchmal abends. Selten abends. Das ist Partnerschaftszeit. Da wird nicht geschrieben. Letztes Jahr habe ich als Lehrer gearbeitet, da habe ich kaum geschrieben. Nur wenige Notizen. Gedichte.
Vielleicht habe ich deswegen einen Hang zum Essay und zum Gedicht, weil es die beiden Formen sind, die sich am leichtesten in meinen Alltag integrieren lassen, zwischen Verlagstätigkeit, Familie, Partnerschaft und Beruf. Ein Zeitreglement aber gibt es nicht, kann es auf Grund meines Verhältnisses zum Schreiben nicht geben. Für mich ist es ja eben kein Beruf, sondern Existenzbedingung und immer wenn meine Existenz es zulässt, schreibe ich. Schreibblockaden gibt es bei mir nicht. Das einzige, was mich beim Schreiben behindert, ist eine berufliche Tätigkeit, welcher Art auch immer.


Sechzehn
Wenn Du schreibst, hast Du dann einen Leser konkret vor Augen oder im Kopf – wie gehst Du überhaupt im Allgemeinen an Deine eigenen Texte heran, wenn Du zu schreiben beginnst:

Ich habe keinen Leser im Kopf. Der Leser ist grundsätzlich da. Ich schreibe, um gelesen zu werden. Das setzt den Leser voraus. Aber ich mache mir keine Vorstellung von ihm. Der Leser ist für mich als Schriftsteller mein logisches Gegenüber. Am Beginn eines Textes habe ich den Impuls zu schreiben. Mehr ist da nicht.


Siebzehn
Ist da zumeist zuerst ein Thema, das Dich reizt oder ein konkretes Problem, das Dich dann zum Schreiben bringt – oder etwas ganz anders?

Ja, ein Thema ist immer da. Ohne Thema gibt es für mich kein Schreiben. Ich suche keine Themen. Die Welt ist voll davon. Wenn Schreibende kommen und sagen, ich weiß nicht, worüber ich schreiben soll, denke ich immer, es gibt doch sovieles, worüber es sich lohnen würde nachzudenken und dann würde das Schreiben von selber kommen. Mich bringt das Denken zum Schreiben.


Achtzehn
Machst Du Dir zuvor irgendwelche inhaltliche Skizzen oder sonstige Modelle? Oder entsteht alles zuvor in Deinem Kopf – und das musst Du dann nur noch zu Papier bringen?

Manchmal habe ich auch die Idee für ein Projekt, wie meinen derzeitigen Roman. Aber impulsgebend ist immer der Wunsch zu schreiben, das Denken. Das Denken setzt das Schreiben in Gang. In letzter Zeit auch wieder vermehrt das Lesen. Auch das hilft, beim strukturieren des Denkens.


Neunzehn
Ist es mehr das Inhaltliche oder das Formale, das Dich im Allgemeinen bei Deinen eigenen Texten beschäftigt – und wie ist das bei der Lektüre von Fremden?

Das Inhaltliche beschäftigt mich zuerst, das Formale entwickelt sich beim Schreiben. Beim Roman, an dem ich derzeit arbeite, entwickelt sich die Form durch den immerwährenden Neubeginn des Textes. Jetzt nach fünf, sechs Versuchen habe ich die Form gefunden, in der er zu schreiben ist. Damit habe ich meine Professoren an der Uni immer in den Wahnsinn getrieben. Den meisten ist eine solche Arbeitsweise fremd. Ich bin eben nicht produktorientiert, sondern prozessorientiert, das gilt übrigens auch für die Arbeitsweis an der AG Literatur oder in meinen politischen Prozessen. Deshalb bin ich für die Politik auch ungeeignet, weil es mir nicht um das Ergebnis geht, sondern um den Prozess wie wir dorthin kommen. Im Kern bin ich ein aufgeklärter Demokrat, auch wenn meine tägliche Arbeitsweise das nicht immer vermuten lässt.
Bei den Texten anderer ist das nicht anders. Aber das kann ich gar nicht sagen, weil ich im Moment auf der Suche nach dem bin, was mich begeistert. Ich lese ja nicht, um mir die Zeit zu vertreiben. Ich lese auch nicht aus professionellen Gründen, wie das Germanisten tun. Ich lese, weil aus dem Lesen das Denken entsteht, das ich für mein Schreiben ebenso brauche wie die alltägliche Erfahrung im Leben. Mit den Texten anderer bin ich oft ungeduldig, denn die meisten sind Unterhaltungsliteratur. Aber wenn ich etwas finde und das ist mir in letzter Zeit öfter passiert, das mich begeistert, dann versuch ich diese Begeisterung zu ergründen, um zu verstehen, wie sie in mir durch den Text ausgelöst wurde. So entwickle ich mich als Schriftsteller weiter, in dem ich verstehe, wie andere mit ihren Texten Begeisterung in mir auslösen, denn auch ich will begeistern.


Zwanzig
Ist die "Sprache" (ihre Form, ihre Materialität), die Du schreibst Dir je ein Problem gewesen/geworden oder bringt der jeweilige Stoff die jeweilige Form – die Sprache, die es braucht sozusagen "einfach" mit sich?

Heute bringt der Stoff die Form hervor. Sprache war für mich immer ein Problem und ist es heute noch. Das ist im Grunde ja eigentlich mein Antrieb zum Schreiben, dass Sprache mir nie selbstverständlich war. Ich wuchs in einer sehr sprachlosen Familie auf, obwohl in ihr permanent gesprochen wurde, wurde kaum etwas gesagt, zumindest nichts, was für mich von Bedeutung gewesen wäre. Erst durch die Literatur wurde mir bewusst, das Sprechen auch eine Relevanz für das persönliche Erleben haben kann und vor allem das Schreiben. Noch heute stehe ich mit der Sprache auf Kriegsfuß. Ich wäre gern ein Dichter, aber bei mir reicht es eben nur zum Schriftsteller. Ich wäre gern ein profunder Denker, der ein Werk hinterlässt, eine Erklärung abgibt, aber es reicht eben nur für ein paar verstreute Gedanken, die ab und zu ins Schwarze treffen. Für ein paar Sätze, die es lohnen, aufgeschrieben zu werden. Die Materialität der Sprache ist mein Problem. Sprache verbindet mich mit der Welt. Leider teilt die Welt dieses Interesse selten mit mir.


Einundzwanzig
Wie schätzt Du das prozentuale Verhältnis eines fertigen Textes mit seinen verworfenen Ansätzen und Versuchen – verwirfst Du z.B. etwa die Hälfte des gesamten Materials (was ich über meine Arbeit sagen würde) oder ist das Meiste, das Du schreibt, bereits soweit im Kopf fertig, dass es nur wenige Änderungen danach braucht?

Das ist sehr unterschiedlich. Im Falle meines Romans würde ich sagen 80:20. Also 80 Prozent verworfen und 20 Prozent fertiges Material. In der Lyrik ist es umgekehrt, da würde ich sagen 90:10. Im Essay ist das ohnehin schwer zu sagen, da geht dem Schreiben ein langfristiger Denkprozess voraus. Theatertexte schreibe ich praktisch nicht mehr. Im wissenschaftlichen Bereich ist das Schreiben ein 1:1 Prozess. Was auf das Papier kommt, ist im Grunde fertig. Das muss nur noch korrigiert und hin und hergeschoben werden. Ich nehme mir immer öfter die Freiheit, zu schreiben, was ich denke, es stehen zu lassen und dann den nächsten Text zu beginnen, ein wenig zu bearbeiten und zu sagen, das ist fertig. Die Zeit ist zu kurz, um sich mit Nebensächlichkeiten aufzuhalten. Ich denke, aus der Fülle wird sich schon der eine oder andere gelungene Text herausschälen. Ich muss das ganze Zeug ja nicht lesen und wie sich in den letzten Jahren gezeigt hat, liest es bis auf zwei, drei andere auch keiner. Mir geht es um Kommunikation beim Schreiben, nicht um den einzelnen Text, obwohl ich sagen muss, dass ich mit zunehmenden Alter mehr Freude daran habe, an den Texten zu arbeiten, sie zu entwickeln, in ihnen herumzustochern, um ihnen ihre tiefsten sprachlichen Geheimnisse zu entlocken.


Zweiundzwanzig
Wann / wie weißt Du, das Dein Text fertig ist – gibt es da für Dich konkrete Anhaltspunkte, an denen Du dich orientierst oder entscheidest Du das mit jedem Text neu?

Ich bin mit einem Text fertig, wenn er sich erschöpft hat, wenn er keine neuen Gedanken mehr bringt, wenn er nichts mehr aufdeckt, nur mehr seinem eigenen Bedürfnis folgt, mehr Länge zu gewinnen. Deswegen wirkt vieles von dem, was ich geschrieben habe, fragmentarisch auf mich. Ein Text bricht ab, wenn er sich überlebt hat, wenn er mich nicht mehr herausfordert, wenn der Gedanke, den er fassen will, gesagt ist. Das ist keine Entscheidung, die ich treffe, das ist eine Bedingung, die sich aus meiner Art des Schreibens ergibt.


Dreiundzwanzig
Der "Schriftsteller" , zumeist auch als "Intellektueller" charakterisiert, wurde in vergangenen Zeiten oftmals als eine Art politisches Gewissen gesehen, ja sogar als eine moralische Instanz – diese Zeiten scheinen irgendwie lange vorbei. Wie siehst du diese Entwicklung heute bzw. denkst Du den Schriftsteller heute noch als einen "Intellektuellen" , der noch irgendeine gesellschaftliche Funktion, eine politische Stellung bzw. Bedeutung hat – oder siehst Du das überhaupt ganz anders?

Ich glaube, dass der Schriftsteller heute zum Medienmenschen mutieren muss, um die Funktion eines Intellektuellen erfüllen zu können. Für mich steht außer Zweifel, dass die Voraussetzung für einen Schriftsteller ist, dass er ein Intellektueller sein muss, andernfalls ist er eben Autor, Poet oder Dichter. Das mit der Moral ist so eine Sache. Wofür ich Günther Anders immer so bewundert habe, ist, dass seine Theorien trotz seiner politisch-praktischen Haltung, ähnliches gilt auch für Foucault, nie moralisch gewesen sind, sondern präzise an der Problemstellung entlang argumentierten.. Wer bin ich denn schon, mit all den Verbrechen, die ich begangen habe, dass ich den Menschen moralische Unterweisungen gebe in der Literatur, auch wenn es mir immer wieder unterläuft. Im Privaten mache ich das natürlich, das ist meine Sozialisation und einer meiner unangenehmen Charakterzüge, aus meiner Erziehung kann ich nur schwer heraus, aber in der Literatur habe ich versucht, mir die Moral abzugewöhnen, denn mit ihr ist nichts zu gewinnen. Für die ästhetische Seite des Schreibens ist sie sogar Gift. Die Stellung des Schriftstellers ist dennoch heute dieselbe wie früher. Er muss, das, was er sieht und denkt, formulieren und in die Öffentlichkeit tragen. Er muss sagen, was gewesen ist, was ist und was sein könnte. Das ist seine Aufgabe, ob er damit Gehör findet oder nicht, spielt dabei keine Rolle, das ist sein persönliches Schicksal, an dem er arbeiten kann, das hängt von Marktbedingungen und Lebensweisen ab, aber der Kern eines Schriftstellers ist sein Denken, das er in Schrift umsetzt. Das macht ihn zum Intellektuellen. Im besten Falle zu einem, der durch seine Literatur seine Epoche verdaut, wie Jean Paul Sartre einmal gesagt hat.


Vierundzwanzig
AG bedeutet Arbeits- oder Aktions-Gemeinschaft – ich welcher Weise ist es Dir, Deinen MitstreiterInnen, der AG Literatur als Organisation (Verein) gelungen, das umzusetzen:

AG beutet übrigens auch Aktiengesellschaft. Für mich war es immer eine Arbeitsgemeinschaft, wenn sich daraus Aktionen ergaben, wie unsere gemeinsame Plakataktion gegen die Mittelbühnen, dann war das umso spannender. Aber eigentlich ging es mir immer um Arbeits- und Produktionsprozesse und darin waren wir wirklich unglaublich gut.


Fünfundzwanzig
Was waren die ursprünglichen Pläne - und was ist aus Ihnen geworden?

Im Prinzip glaube ich, gab es nur einen Plan. Produktionsprozesse in der Literatur in Gang zu setzen. Diskursprozesse. Und den haben wir konsequent und bedingungslos in die Tat umgesetzt, in all unseren konzipierten, stattgefundenen und gescheiterten Projekten: Erste Wiener Denkfabrik. Schnittstellen – Zeitschrift und Symposium, Strobler Literaturtage, 7 Tage österreichische Literatur, Günther Anders Tage, Literatur im Kleinformat, Edition Art Science, Plattform Salzkammergut, Projekt Bodenprobe. Die Liste ließe sich noch fortsetzen. In der Dokumentation, die derzeit im Entstehen begriffen ist, werden all die umgesetzten Projekte nachzuschlagen sein.


Sechsundzwanzig
Was waren die Zielsetzungen - und was ist von ihnen konkret geblieben?

Die Zielsetzung haben wir schon im Begleittitel der AG Literatur formuliert: Produktionsgemeinschaft der in Österreich lebenden und arbeitenden Autoren. In der Edition Art Science haben wir dies ultimativ zum Ausdruck gebracht. Von der Gemeinschaft ist ein Band zwischen Menschen geblieben, die sich immer wieder zusammenfinden. Die Produktion findet jedoch immer noch statt. Für manche war die AG Literatur dabei durchaus hilfreich.


Siebenundzwanzig
Was waren die Vorhaben - wie viele konnte man umsetzen, wie viele sind schon im Vorfeld gescheitert oder auch in der Organisation / Realisation, und wenn: warum?

Die konkreten Vorhaben habe ich schon weiter oben aufgezählt. Sie hier zu konkretisieren würde den Rahmen sprengen. Da kann ich nur auf die Dokumentation verweisen und vertrösten. Im Vorfeld sind eigentlich erstaunlich wenige Projekte gescheitert. Das einzige, das wirklich gescheitert ist, war das Projekt Kulturfabrik 23, das in Zusammenarbeit mit der Bezirksvorstehung Wien-Liesing umgesetzt werden hätte sollen. Warum das gescheitert ist, weil es eben nicht nur von uns abhing, sondern eben von einem externen Auftraggeber, der Bezirksvorstehung. Auch eine Performance anlässlich des sechzigsten Jahrestages des Anschlusses Österreichs an das deutsche Reich musste abgesagt werden, weil die Burghauptmannschaft sie untersagt hatte. Nur wenige Jahre zuvor konnte noch ein antifaschistischer Marsch stattfinden. Gut der hat sich gegen Jörg Haider und die FPÖ gerichtet (den immer gern genutzten Sündenbock für alles was schief läuft in dem Land) und nicht gegen die gesellschaftliche Ordnung. Das war ja auch eine österreichische Inszenierung und nur nebenbei gesagt, war das Lichtermeer auch das Ende aller politischen Utopien in diesem Land. Warum sich das Lichtermeer die österreichische Sozialdemokratie nicht vorgeknöpft hat, verstehe ich bis heute nicht. Gescheitert sind wir nicht an unseren Ansprüchen, sondern in den meisten Fällen an den "Rahmenbedingungen", den realen Machtverhältnissen in diesem Land. Im Grunde wurde die AG Literatur ja aus einer Niederlage geboren, nämlich aus dem gescheiterten Versuch eine Reform der IG Autorinnen Autoren herbeizuführen. Damals sind wir an den Machtansprüchen von Gerhard Ruiss und seiner Generation gescheitert, also wählten wir unseren eigenen Weg, abseits der literarischen Zentren Österreichs.


Achtundzwanzig
Inwiefern spielt "Erfolg" in all Deinem Werken und Schaffen (ja in Deinem Leben) eine Rolle – und wenn, was ist "Erfolg" ?

Erfolg spielt immer eine Rolle. Ich möchte ökonomisch erfolgreich sein, weil ich denke, dass ich mich dann nicht mehr mit diesen Wahnsinnigkeiten des Überlebens herumschlagen müsste. Ich wäre gerne moralisch erfolgreich gewesen, unangetastet, überlegen, doch davon bin ich weit entfernt. Erfolg misst sich letztlich an den Zielen, die einer sich setzt. Mein Erfolg als Vater wird sich zeigen, darin, wie meine Kinder über mich eines Tages sprechen werden. Mein Erfolg als Mann wird sich darin zeigen, ob es mir gelungen ist, meiner Frau ein halbwegs erträgliches Leben mit mir ermöglicht zu haben. Erfolg als Schriftsteller bedeutet, einen Text zu schreiben, der über lange Jahre Bestand hat, vor mir und vor den Lesern, vielleicht über meine Zeit hinaus wirksam bleibt. Erfolg als Verleger bedeutet, Produkte hervorzubringen, die Autoren zufrieden stellen. Erfolg als Lehrer bedeutet, ein wenig Gnade in unser gnadenloses Schulsystem zu bringen. Erfolg bedeutet letztlich weitergelebt zu haben, mit und durch andere. Erfolg stellt sich immer erst in der Rückschau ein.


Neunundzwanzig
Wie / was denkst du über die derzeitige Kulturpolitik, insbesondere in Belangen der Literatur und ihrer Förderung – erwartest Du noch etwas von ihr?

Das kann ich kurz machen. Ich erwarte ein bedingungsloses Grundeinkommen und die Abschaffung aller kulturpolitischen Prozesse, die vom Staat gesteuert sind. Von der derzeitigen Kulturpolitik erwarte ich nur, dass sie uns das Wenige, was wir haben, zumindest nicht wegnimmt und ich noch einmal das Projektstipendium zugesprochen bekomme. Die Kulturpolitik versagt derzeit auf allen Ebenen.


Dreißig
Literarische "Lesungen" scheinen nach wie vor "in" zu sein – wie denkst du darüber?

Persönlich habe ich ein gebrochenes Verhältnis zu Lesungen. Ich würde gerne Dialoge mit dem Publikum führen. Lesungen erfreuen sich nur dann großer Beliebtheit, wenn die medial im Fokus stehenden Autoren auftauchen. Alles andere sind Scheinlesungen, wo ein Autor seinen Freunden etwas vorliest, vielleicht mal einem Kulturjournalisten, weil er sich in eine Lesung verirrt hat, vielleicht auch um dem Autor einen Gefallen zu tun. Zehn Leute im Publikum werden ja schon als Erfolg gefeiert, bei jemandem, den niemand kennt und der sich oft auch den Veranstaltern aufdrängt. Die poetry slams sind ja nichts anderes als eine Reaktion auf die Vermittlungsbedingungen in diesem Land. Sie sind ein Mittelding zwischen Popkultur und Literatur. Früher hat einer eine Band gegründet und seine Lyrik in die Welt geschrien, heute macht er in poetry slams auf sich aufmerksam und holt sich dort einen Preis ab und seine Selbstbestätigung. Lesungen gehören zum Betrieb, wie Buchhandlungen zum Markt. Es sind Vermittlungsveranstaltungen. Räume, in denen Autoren fassbar werden, einen Körper erhalten, greifbar, zu menschlichen Wesen werden um danach in die hehre Welt der Literatur zurückgestoßen werden, wenn sie nicht selbst versuchen diesen Prozess zu durchbrechen, in dem sie die Lesung nicht als theatrales Veranstaltungsprinzip verstehen, sondern als eine Diskursplattform, die weit über eine verlängerte Buchhandlstheke hinausgeht. Lesungen sollten Begegnungsstätten sein, keine Verkaufsveranstaltungen. Es gibt nur einen Ort, wo die Diktatur der Literatur in eine Demokratie übergehen könnte, wo sich Leser und Schriftsteller begegnen, in der Realität, im Austausch unter gleichen, bei einer Lesung. Doch dazu muss die Lesung als politischer Ort begriffen werden, nicht als biographisch-pathologischer oder ökonomischer.


Einunddreißig
Wenn man offiziell (z.B. BKA / Sektion Kunst) bei Dir anfragen würde, was es denn heutzutage kultur- bzw. gesellschafts-politisch bräuchte – was / wie würdest Du antworten?

Ich würde das antworten, was du geantwortet hast und von Brecht hergeleitet hast: Es braucht Geld. Gebt den Schriftstellern Geld. Vor allem weil wir in einem kapitalisierten Markt leben und in diesem braucht es Geld zum Überleben. Ich bin ein Verfechter des bedingungslosen Grundeinkommens. Damit könnten wir viele Probleme unserer Gesellschaft mit einem Schlag lösen. Wir brauchen keine Kulturpolitik. Wir brauchen ökonomisch und gesamtgesellschaftlich (das mein ich global) wirkende Umverteilungsmechanismen der ökonomischen Ressourcen. Erst gestern habe ich im Radio gehört, das erstmals ein Prozent der Gesellschaft mehr besitzt als der Rest der Weltbevölkerung. Das sind die wahren Verhältnisse in der Welt und das eigentliche Verbrechen ist, dass wir uns mit kulturpolitischen Fragen auseinandersetzen, wer, wie viel von dem wenigen Geldern, das für Kultur in Umlauf gebracht wird, bekommen soll. Es geht schon lange nicht mehr um Kulturpolitik, es geht um alles oder nichts. Die Kulturpolitik ist ein Handlanger der Verbrecher unserer Zeit, die sich vor allem in der Politik breit gemacht haben, in den Beamtenapparaten und dem Bankensystem, den Großkonzernen, den Waffen- und Pharmakonzernen. Kulturpolitik muss heute mehr denn je revolutionär sein, um überhaupt irgendeine Wirkung entfalten zu können. Doch diese Hoffnung habe ich bereits begraben. Ich setze auf das bedingungslose Grundeinkommen, alles andere führt in den sozialen und politischen Abgrund, auf den letztlich, wie wir in vielen Teilen der Welt sehen können, gesellschaftliche r Zusammenbruch, Krieg und Terror folgt.
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eingestellt am: 28.6.2017 | zuletzt aktualisiert: 28.6.2017
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