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Armin Anders Wien fragt | Raimund Bahr St. Wolfgang antwortet | 2016 | Fragen 32-44

Zweiunddreißig
Es gibt immer noch die inzwischen uralte Debatte, ob die Schriftstellerei eine („reine“!?) Kunst sei oder auch nur ein „Handwerk“ bzw. ein „Technik“ unter vielen (Stichwort „creative writing“), und also lern- und lehrbar – wie / wo stehst Du zu / in dieser Debatte?

Da triffst du einen wunden Punkt bei mir. Ich kenne mich in Kunstdebatten kaum aus und habe mich da vorsorglich immer herausgehalten. Auch während meines Studiums fand ich Kunstdiskurse immer seltsam verschroben. Schreiben ist zu allererst eine Kulturtechnik, denke ich. Schreiben ist etwas, das wir in der Schule lernen, um uns mit anderen zu verständigen, um jenseits des gesprochenen Wortes, über weite Distanzen geographisch, zeitlich oder auch zwischenmenschlich miteinander zu kommunizieren. Schreiben eignet sich auch hervorragend für alle Arten von Dokumentationsprozessen. Ich habe Schreiben immer in diesem Sinne verstanden. Früher habe ich die Schrift immer als Werkzeug betrachtet, mit dem ich mich jenseits des Sprechens äußern, mein Denken dokumentieren, mein Fühlen zum Ausdruck bringen konnte. Später kam dann die Lust dazu, diese Ausdrucksform zu perfektionieren, meinen Stil zu finden. Und ich denke, dass ist mir doch gelungen. Heute könnte ein Leser, der sich intensiv mit meinen Texten beschäftigt, so etwas wie eine inhaltliche und formale Handschrift in ihnen erkennen. Als Künstler habe ich mich aber nie verstanden und das wäre ja notwendige Voraussetzung für Kunstproduktion, sich als Künstler zu verstehen, da knüpfe ich an, an das an anderer Stelle schon gesagte, ich bin kein Dichter und auch kein Poet. Ich führe auch keine Künstlerexistenz.
Früher habe ich mich auch in anderen Ausdruckformen versucht: der Malerei, der Musik, dem Tanz. Nur die Schauspielerei ist mir nie gelegen. Obwohl ich in meiner Schulzeit einmal mit Freunden einen Film gedreht habe, auf Super 8. Was ich sagen kann, ist, dass meine Schriftstellerei sich in verschiedenen Arten der Textproduktion zeigt, der Literatur, der Wissenschaft. Ich kann sagen, wann einer meiner Texte Wissenschaftscharakter aufweist, welcher fiktional ist, welcher realistisch, aber ob meine Texte Kunst sind, das kann ich nicht sagen. Das müssen andere, klügere Menschen beurteilen.
Der Kunstbegriff ist mir im Übrigen zu elitär, wie ich ihn verstanden habe. Es ist ein Begriff, der die einen Schreibenden ausschließt und andere darin einschließt. Mir ist auch nicht ganz einsichtig, was meine Lyrik von jener eines Rilkes oder Brechts unterscheidet, außer in der Thematik und in ihrer Prägnanz oder formalen Gestaltung oder ihrer Qualität oder ihrem unterschiedlichen Entstehungszusammenhang. Warum Rilkes Gedichte Kunst sein sollen und meine eben nur Gedichte. Vielleicht liegt es einfach nur im Anspruch des Schriftstellers selbst, ob etwas Kunst ist oder nicht, oder eben in der Bewertung durch die Gesellschaft. Es ist ein Label, das jemandem umgehängt wird, wie das Label Journalist oder Wissenschaftler oder Lehrer oder Lügner oder Betrüger oder Held oder Irrer.
Schreiben und auch das literarische Schreiben kann ein Mensch natürlich lernen. So wie ein Mensch das Malen oder das Musizieren lernen kann. Eine gewisse sprachliche Begabung wäre natürlich von Vorteil. In meinem Fall grenzt es an ein Wunder, dass ich Schriftsteller, Verleger und Germanist geworden bin, denn in meiner Kindheit dachten meine Lehrer, dass ich unbegabt für Sprache sei, zumindest vermute ich das, denn meine Noten sprachen eine deutliche Sprache. Ich bin der beste Beweis dafür, dass es möglich ist, die Schriftstellerei zu erlernen und von einem einfachen Niveau zu einem komplexeren aufzusteigen.


Dreiunddreißig
Ist der Begriff der „Kunst“ überhaupt ein wichtiger und wesentlicher in Bezug auf Dein eigenes Literaturschaffen?

Für mein literarisches Schaffen hat der Kunstbegriff keinerlei Bedeutung. Ich würde auch niemals behaupten, dass das, was ich produziere, Kunst ist oder auch nur den Anspruch erhebt Kunst zu sein. Da bin ich ganz Arbeiterkind, ganz vom Handwerk geprägt. Was übrigens nicht heißt, dass ich das, was ich mache, nicht als durchaus originell bezeichnen würde. Manchmal halte ich mich sogar für genial, aber Kunst wird es dadurch nicht. Ich habe immer diejenigen Leute beneidet, die es schaffen, Literatur zu produzieren, die tatsächlich so etwas wie Kunst generiert und das sind dann so Leute wie Paul Celan oder Ingeborg Bachmann. Das Problem bei der Literatur ist ja, dass im Gegensatz zur darstellenden oder bildnerischen Kunst, im Begriff eben das Wort Kunst nicht vorkommt. Was macht denn einen Maler zum Künstler, außer dass er es schafft, die Welt wie sie ist oder wie er sie sieht, auf hohem handwerklichem Niveau in Malerei zu verwandeln. Der Schriftsteller macht nichts anderes. Er verwandelt die Welt in Schrift. Wenn das Kunst ist, wäre ich wahrscheinlich auch ein Künstler. Aber das ist wie mit der Frage, ob es einen Gott gibt, ob die Religion einen Sinn stiftet, die mich in jungen Jahren stark beschäftigt hat und heute keine Bedeutung mehr für mich hat. Genauso wenig beschäftigt mich die Frage, ob meine Literatur Kunst ist und was Kunst im Kern ausmacht, ich halte das für eine zutiefst akademische Debatte und dort gehört sie auch hin, in die Akademien.


Vierunddreißig
Wovon „handelt“ Literatur – im Allgemeinen und im Besonderen?
Wovon „handelt“ Deine Literatur – im Allgemeinen und im Besonderen?

Das kann ich relativ einfach beantworten. Aus meiner Perspektive handelt Literatur von Menschen und der Welt, die sie umgibt, wie alles miteinander zusammenhängt. Literatur handelt nicht wie oft gesagt, von den großen Themen der Menschheit: Liebe, Krieg, Betrug, Hoffnung, Tod oder ähnlichem. Das sind bloße Oberflächen, Hintergrundbilder, nützliche Chiffren für das, worum es in der Literatur wirklich geht, nämlich darum, wie ein Mensch sich in der Welt, die ihn umgibt, zurechtfindet, wie er in ihr überlebt, wie er sie gestaltet, wie er zu ihr findet oder eben auch nicht, wie er in ihr scheitert.
Und in meiner Literatur ist es nicht anders: Günther Anders hat mir als erster Schriftsteller einen Begriff davon gegeben, was mich im Kern beschäftigt: Die Weltfremdheit. Das zur Welt hinzukommen. Ob es glückt, in der Welt Einkehr zu finden oder nicht und was für Konsequenzen das für einen Menschen hat.


Fünfundreißig
Konkret: Wenn ein Interessierter Leser Dich einmal ganz ernst danach fragt, was denn nun „Dein Thema“ im Schreiben (im Leben und in der Kunst) sei , an dem Du Dich sozusagen stetig abarbeitetest, das Dich wirklich innerst bewegt, Du weißt ja, es gibt dieses Klischee, dass man im Grund sein Leben lang nur an einem Buch arbeite – was würdest Du antworten?

Das ist mein Thema: Die Weltfremdheit. Der Mensch kommt zur Welt hinzu und muss sich in ihr einfinden. Für die Welt ist das ein ebenso einschneidendes Ereignis wie für den zur Welt Hinzukommenden. Das Leben besteht nun darin, diese Fremdheit zu überwinden, einen Zugang zur Welt zu finden. Die Welt ist mir nicht angemessen. Insofern bin ich immer im Exil, nie wirklich heimisch geworden in ihr. Sie entspricht nicht meinem Charakter, nicht meinen Bedürfnissen und schon gar nicht meinen Möglichkeiten. Mein Schreiben ist der Versuch einen Ausgleich, ein Arrangement mit dieser Welt, die mir fremd ist, zu finden. Und manchmal scheint es mir, als wäre ich der Welt ebenso fremd geblieben wie sie mir. In manchen Momenten, im Sex und beim Schreiben wird diese unüberwindliche Barriere durchlässig. Vielleicht ist das mein eigentlicher Antrieb zum Schreiben, diese Barriere überwinden zu wollen.


Sechsunddreißig
Wenn dieser ebenso freundliche wie interessierte Leser Dich dann darum bittet, ihm in einfachen Worten zu erklären, was denn einen „Schrifsteller / Publizisten“ ausmachen, wie denn das „Leben eines Schriftstellers / Publizisten“ eigentlich ausschaue – was würdest Du antworten?

Einen Schriftsteller macht aus, dass er schreibt. Mehr ist dazu nicht zu sagen. Sein Leben besteht aus denselben langweiligen und herausfordernden Ereignissen wie das Leben jedes anderen Menschen. Er hat einen Arbeitsprozess, der sich zwar von dem eines Bäckers unterscheidet, wie dieser sich von dem eines Politikers oder Astronauten unterscheidet, aber er führt genauso gelingende oder gescheiterte Beziehungen, gründet Familien, pflanzt Bäume, wäscht sein Auto, duscht, isst und tut all das, was andere Menschen auch tun. Das einzige, was ihn wirklich von anderen unterscheidet, ist, dass er schreibt und dass dieses Schreiben Ursache und Bedingung seiner Existenz ist.


Siebenunddreißig
Es gibt auf den Lebens- und Arbeitswegen immer bestimmte (besondere) Menschen, die einen auf diesen Wegen begleiten, unterstützen, anstoßen, abhalten usw.usf. – willst Du welche nennen und erzählen, warum sie bedeutsam sind, worin ihr „Beitrag“ für Dein Leben / Dein Werk lag bzw. liegt?

Solche Menschen gab es natürlich in meinen Leben. Im privaten wie im beruflichen. Wobei das eben schwer zu trennen ist. Für meine Schriftstellerei waren sicher die Kinderbuchautorin Renate Welsh und der Lektor vom Jungbrunnen-Verlag Wolf Harranth von großer Bedeutung, die mir gezeigt haben, wie ein Text funktioniert, von denen ich rücksichtslose Textkritik mit menschlichem Antlitz gelernt habe. Die ich übrigens für die Entwicklung eines Schriftstellers für unerlässlich halte und an der es in Österreich an allen Ecken und Enden fehlt. Ohne die es wahrscheinlich mein wohl optimistischstes Buch nicht geben würde, mein Kinderbuch. Für mich als Schriftsteller waren aber vor allem Bücher von großer Bedeutung. Und dann natürlich Armin Anders, also du selbst, der Fragesteller. Insofern ist es kein Zufall, dass wir wieder einmal hier gelandet sind. Ich schreibe und du fragst. Ohne dich wäre ich niemals der Schriftsteller geworden, der ich heute bin. Die Mitarbeit in deinen Enviromentproduktionen, die Zusammenarbeit in der ÖDV und später in der AG Literatur, die Freundschaft und deine immer kritische Haltung zu meinen Texten haben mich mehr beeinflusst als sonst irgendetwas. Das war für mein künstlerisches Schaffen bestimmend. In einer Zeit als ich auf der Suche nach meinem Stil war, hast du konsequent immer den letzten Satz meiner Texte gestrichen. Meinen lehrerhaften Ton mit deiner Kritik unterlaufen. Dir verdanke ich Günther Anders und meine zehn jährige Auseinandersetzung mit diesem Autor, der mehr über mich wusste, ohne mich zu kennen, als ich selbst, der mich und meine soziale Lage beschrieb, wie es keinem anderen Menschen gelungen ist, obwohl uns geburtstechnisch beinahe sechzig Jahre voneinander trennen. Wie ich überhaupt sagen muss, dass ich vor allem zu der Großelterngeneration meine besten Kontakte hatte: Erika Danneberg, Alfredo Bauer, während ich mit meinen älteren gesellschaftlichen Brüdern und Schwestern immer auf Kriegsfuß stand.


Achtunddreißig
Ist es – nach all der langen Zeit – nach wie vor bei den Subventions-Einreichungen notwendig, dass Du die Projekte und Unternehmungen der AG Literatur umfassend argumentieren musst oder gibt es inzwischen ein gewisses Vertrauen bzw. womöglich sogar ein Verständnis– wie würdest Du die Beziehung oder auch nur den Kontakt und die Kommunikation mit und zu den Subventionsgebern, vor allem über all die lange Zeit betrachtet, charakterisieren?

Es gibt kein Vertrauen. Das gab es noch nie. Es hat sich beim Verhältnis zwischen der AG Literatur und der Kulturbürokratie ein ähnliches Prinzip eingestellt, wie bei unseren Vorgängern, wir sind jetzt lange genug da und deswegen kriegen wir, was wir jedes Jahr zugestanden bekommen, nicht mehr. Weniger wird es ohnehin von selbst, da die Inflation Jahr für Jahr die staatlichen Förderungen ein Stück weiter aufzehrt. Kontakt mit Subventionsgebern hatte ich nur einmal in meiner bisher zwanzigjährigen Laufbahn, das war ganz am Anfang, als wir bei Wolfang Unger vorstellig wurden, wegen einer Jahresförderung und er uns gesagt hat: „Zeigen Sie mal was Sie können und dann kommen Sie wieder.“ Zynischer geht es ja gar nicht mehr. Zeigen, was wir können, ohne Förderung ist undenkbar. Letztlich gibt es die AG Literatur in der heutigen Form ja nur deswegen, weil die ÖDV zur gleichen Zeit zugesperrt hat und wir sozusagen die Gelder der ÖDV geerbt haben. Die Kulturbürokratie ist genauso ignorant wie die Medien oder die Politik. Das Günther Anders Forum wurde von der Politik zerstört, als der freien Szene über Nacht der Geldhahn zugedreht wurde. Der AG Literatur wurde zweimal die Jahresförderung verweigert und nur nach Protesten und Klarstellungen konnte die Subvention gerettet werden. Dazu muss der Unbeteiligte wissen, dass wir 14.600,00 € Basisförderung im Jahr bekommen und das entspricht der ursprünglichen Subvention aus dem Jahr 1998. Damit finanzieren wir im Grunde alle unsere Projekte und das seit Jahren. Das Argument mit dem uns damals die Subvention verweigert wurde, war, dass wir nicht mehr in ausreichendem Maße literarische Projekte verfolgen würden, weil wir für ein Jahr einen Schwerpunkt zur Psychoanalyse hatten. Das war fadenscheinig und unredlich. Seit wir jedoch die Lyrik der Gegenwart herausgeben, hatten wir keine Probleme mehr. Was der ganze Prozess aber gezeigt hat, ist, dass das Ministerium nicht verstanden hat, was wir eigentlich tun oder es ihm offensichtlich ganz egal ist, solange unsere Abrechnungen stimmen und wir das Geld nicht zweckentfremdet nutzen. Obwohl ich natürlich auch positive Erfahrungen gemacht habe. Eine Beamtin hat mich mal angerufen, als die Wissenschaft zugesperrt hat und mir gesagt, dass sie unsere Projekte immer gern unterstützt hat, weil sie sie sehr geschätzt hat. Es gibt also offensichtlich doch so etwas wie eine Wahrnehmung dessen, was wir tun, in der Kulturbürokratie. Ob diese Wahrnehmung positiv ausfällt oder eine Art Duldung ist, erfahre ich ja normalerweise nicht, weil ich mit den Beamten gar keinen direkten Kontakt habe. Deren Job möchte ich allerdings auch nicht machen wollen. Minister aber wäre ich gerne mal.


Neununddreißig
Als Publizist hat man unweigerlich unentwegt Kontakt bzw. steht stets im Gespräch mit vielen schreibenden Kolleginnen und ist somit, ebenso in erwünschter wie unerwünschter Weise mit den unterschiedlichsten Persönlichkeiten konfrontiert – ist das etwas
das dir schwer oder leicht fällt oder gar nicht anficht?
das sich über die Zeit der Anfänge bis heute verändert hat?
das ganz konkret dein Bild vom „Autor“ verändert hat?
das Auswirkungen auf Deine eigene schriftstellerische Tätigkeit hatte / hat?


Den Kontakt mit schreibenden Kolleginnen finde ich sehr positiv und unerlässlich für die eigene schriftstellerische Entwicklung und das Leben als Autor. Das hat sich auch über die Jahre nicht verändert, außer dass ich heute mehr Kontakte zu Autoren und Autorinnen habe. Mein Bild vom Schriftsteller hat sich dadurch nicht verändert. Es hat mich nur darin bestärkt, dass mein Weg als Schriftsteller der richtige für mich selbst war und dass es offensichtlich unterschiedliche Wege gibt, um als Autor zu existieren. Das keiner davon besser oder schlechter ist, als der andere, sondern die Wege, die ein Autor oder eine Autorin gehen kann, eng damit verbunden sind, welchen Sozialisierungs- und Politisierungsprozessen er oder sie unterworfen war und ist. Auf meine schriftstellerische Tätigkeit hat es insofern Auswirkungen gehabt, dass die Kritik an meinen Texten mir geholfen hat, mich schriftstellerisch weiterzuentwickeln, meine Möglichkeiten und Grenzen klarer erkennen und einschätzen zu lernen.


Vierzig
Wenn ein junger Autor, eine junge Autorin sich vertrauensvoll an Dich wenden und Dich fragen, was muss ich heutzutage tun, um mich als Schriftsteller derart zu etablieren, um davon auch langfristig leben zu können – was / wie würdest Du antworten?
Was sind die Voraussetzung und Bedingungen für einen „guten“ Schrifsteller?
Was sind die Voraussetzung und Bedingungen für einen „erfolgreichen“ Schrifsteller
?

Du musst Schreiben, dich bewerben, dich sichtbar machen. Ein guter Schriftsteller ist einer, der eine Idee hat, ein erfolgreicher, einer der ein Werk hervorbringt. Ob einer davon leben kann, hängt von unglaublich vielen Zufälligkeiten ab. Hilfreich ist es sicher, wenn ein Autor originelle Texte schreibt. Manchmal ist es auch hilfreich, marktkonform zu schreiben, aber wichtig ist immer das Authentische, der eigene Stil. Ob sich dann ökonomisches Überleben einstellt, hängt auch von den Zeitumständen und von der Persönlichkeit des Autors ab.


Einundvierzig
Heutzutage läuft ja eine irrsinnnig bis wahnwitzig anmutende Literaturproduktion in der Online-Welt bzw. ist diese selbst zu einem der wichtigen Werbemedium sowie vielfach gebrauchten Vertriebsweg geworden – wie hältst Du es mit den sogen. Neuen Medien, insbesondere den sogen. „Social Media“ ?

Die Online-Medien sind eine tolle Werbemaschine. Aber letztlich wird das große Geschäft immer noch in der analogen Welt gemacht. Mit Social Media Präsenz kannst du dich sichtbar machen, aber wenn dich keiner in der analogen Welt puscht, ist das alles sinnlos. Den Bachmannpreis zu gewinnen, ist immer noch hilfreicher als jede Onlinepräsenz. Auch im Netz brauchst du Texte, die sich verkaufen, wenn du vom Schreiben leben willst und dann bist du schnell bei Genres wie dem Krimi, der Pronographie, historischen Romanen oder Liebesgeschichten. Außerdem denke ich, dass der größte Hype schon vorbei ist. Das Netz finde ich als formale Struktur für das Schreiben interessant. Ich habe einige Versuche mit Blogs unternommen, einige Webprojekte gestartet und was ich sagen kann, es ist unglaublich zeitaufwendig. Das Reizvollste daran ist, seinen gesamten Textbestand per Vernetzung verfügbar machen zu können. Als Archiv und Dokumentationsprinzip finde ich das Netz durchaus interessant. Für mein Leben als Schriftsteller halte ich es ehrlich für entbehrlich. Vielleicht bin ich da altmodisch.


Zweiundvierzig
Was / wie denkst Du, sollten konkret die Zukunftsvorhaben der AG Literatur für die nächsten Jahre sein – was wünscht Du dir persönlich für Dich, all die Autorinnen, die Du unterstützt sowie die AG als literarische Arbeitsgemeinschaft?

Die AG Literatur gibt es ja nicht mehr. Was übrig geblieben ist, ist die Edition Art Science, der Verlag. Alles andere ist Geschichte. Die Strobler Literaturtage habe ich an Erika Kronabitter abgetreten und mich in den letzten beiden Jahren davon zurückgezogen. Was ich immer wieder im Kopf habe, ist eine große abschließende Veranstaltung, eine Vortragsreihe und ein Lesehappening mit all den Leuten, die sich mal bei uns beteiligt haben. Was ich mir wünsche, ist Geld. Geld hatten wir nie genug. Ideen waren in großer Zahl vorhanden. Geld war immer Mangelware. Und was ich mir wünsche, ist, dass vielleicht doch eines Tages noch der Vorstoß in die Mitte des literarischen Marktes gelingen möge. Einigen von uns ist es in Ansätzen gelungen. Werner Rohner zum Beispiel. Barbara Deißenberger publiziert ihren ersten Roman. Peter Wawerzinek, der immer nur an unserer Peripherie war und es in die Mitte geschafft hat. Peter Altmann, Erika Kronabitter, Alexander Peer. Unterschiedliche Entwürfe, unterschiedliche Existenzen. Alle in Berührung mit der AG Literatur. Neben Geld würde ich mir Aufmerksamkeit wünschen, zumindest irgendwann in der historischen Betrachtung dessen, was wir gewesen sind.


Dreiundvierzig
Wo wird die AG Literatur in 10 Jahren sein, wird sie überhaupt noch sein – oder hast Du konkret andere Pläne für dich und die AG?
Gibt es noch ein besonderes Literaturprojekt, das Du im Kopf hast, dass Du noch unbedingt verwirklichen möchtest, dass Dir ein besonderes – persönlich wie künstlerisches – Anliegen ist?
Gibt es für Dich so etwas wie ein „Scheitern“ im persönlichen Leben und /oder im literarischem Werk, und wenn: Welche Bedeutung hat „Scheitern“ für dich persönlich in Deinem eigenen Leben und künstlerisch-publizistischem Werk gehabt und/oder hat es noch
?

Für mich habe ich den konkreten Plan jedes Jahr ein Buch zu schreiben und es auch zu publizieren. Ich bin noch lange nicht am Ende mit dem Prozess, der der Welt zu machen ist. Noch lebe ich und noch bin ich in ihr und sehe sie und leide an ihr. Das macht meine Produktivität aus. Es gibt mehrere literarische Projekte. Meine Krimireihe will ich fortsetzen. Meinen ersten Roman endlich beenden. Meinen Text über die Generation Hainburg fertigstellen und dann das mehrbändige Projekt mit dem Titel „Literaturgeschichten“, in dem ich mich einfach über Literatur äußere. Indem ich zum Beispiel alle Büchnerpreisreden hernehme und mich damit auseinandersetze, in einer Art Dialog mit den Autoren und Autorinnen in Kontakt treten, mit ihren Texten und Aussagen.
Scheitern, ja das gibt es. Im Grunde bin ich immer gescheitert. Aber das macht mir nichts mehr aus. Früher habe ich darunter sehr gelitten. Ich denke heute, dass ich ein Werk geschaffen habe. Eines das schon jetzt seinesgleichen in Österreich sucht. Eines, das in seiner inhaltlichen Breite und Dichte einzigartig ist. Das gerade weil es noch nicht zu Ende ist, noch wachsen kann. Ich habe Biographien geschrieben und fünf Lyrikbände. Ich habe Theaterstücke geschrieben und Kinderbücher. Erzählungen und Romane. Ich habe einen Verlag gegründet und über beinahe zwanzig Jahre geführt. Mit den Strobler Literaturtagen habe ich eine einzigartige künstlerische Veranstaltung geschaffen, die es so in Österreich davor nicht gab. Dennoch habe ich das, wofür ich angetreten bin, nicht zu Wege gebracht, der bedeutendste österreichische Schriftsteller an der Wende zum 21. Jahrhundert zu werden. Aber zumindest hatte ich diesen Anspruch einmal erhoben und versucht diesem Anspruch gerecht zu werden. Den Mut aufzubringen, mich dem Scheitern, das diesem Anspruch innewohnt, auszuliefern.


Vierundvierzig
Ist die AG Literatur etwas, das Du sozusagen vererben möchtest oder ist es etwas, das mit Dir als Person in einer solchen Weise verbunden ist, dass es mit Dir sozusagen „absterben“ wird – denkst Du überhaupt manchmal darüber nach?

Wie gesagt, die AG Literatur lässt sich nicht vererben, weil sie eigentlich nicht mehr existiert. Sie existiert als Struktur nur noch deshalb, weil ohne sie auch die Edition Art Science verschwinden würde. Manchmal habe ich die Phantasie, dass sich eines meiner Kinder des Verlages annimmt und daraus ein wirklich nachhaltiges und vor allem ökonomisch funktionierendes Projekt für Autoren und Autorinnen macht. Aber das ist Unsinn. Die AG Literatur wird mich nicht überleben und ob die Edition einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin finden kann und wird, hängt letztlich davon ab, wohin mich mein eigener literarischer Weg führt und das wiederum hängt eng mit meinen eigenen ökonomischen Bedingungen zusammen. Obwohl ich bezweifle, dass sich jemand unter den herrschenden ökonomischen Bedingungen des Verlages annehmen würde. Da könnte er ja gleich einen neuen gründen. Wenn es aber doch eines Tages eine Übergabe geben sollte, dann müsste sie wie bei den Strobler Literaturtagen von statten gehen, indem ich mich tatsächlich aus allen Funktionen zurückziehe und die Führung anderen überlasse, ohne selbst daran beteiligt zu sein, denn was klar ist, die bisherige Struktur ist derart eng mit mir verknüpft, dass es glaube ich, nur schwer zu ertragen wäre, wenn sie jemand unter meiner Beteiligung verändern würde. Da bin ich, glaube ich, zu stark Gründungsheros, um tatsächlich als Beteiligter zusehen zu können, wie alles sich verändert und umgestürzt wird. Obwohl ich meine, das nur ein derartiger Umsturz dann auch das Projekt in der Zukunft erfolgreich machen würde. Aber es wäre dann eben nicht mehr meine Zukunft und nicht mehr mein Projekt.
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eingestellt am: 1.7.2017 | zuletzt aktualisiert: 1.7.2017
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