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Raimund Bahr fragt | Erika Kronabitter antwortet | 2002 | Strobl
Im Rahmen des Projektes Zeitzeug/inn/enhorizonte



Raimund Bahr
Wie bist du zum Schreiben gekommen?

Erika Kronabitter
Als ich sechzehn, siebzehn Jahre alt war, hat es bei uns in Vorarlberg einen Literaturkreis gegeben, KÖLA, Klub österreichischer Literaturfreunde und Autoren. Irgendwie hatte ich davon gehört und bin, damals noch mit dem Fahrrad, von Feldkirch nach Schnifis hinaufgefahren. Bei den Mitgliedern handelte es sich hauptsächlich um Senioren und Seniorinnen, zumindest hatte ich den Eindruck. Ich war die Jüngste. Ich wurde als neues Mitglied sehr freundlich aufgenommen. Im Klub präsentierte man sich die neuesten Arbeiten, auch ich habe dort meine ersten Gedichte vorgelesen. Lange Zeit habe ich nur Gedichte geschrieben. In der Schule bekam ich einmal einen Preis für eine Geschichte. Der Klub hat mich gefördert. Ich konnte meine Texte lesen und manchmal wurde auch ein Text von mir in der Zeitschrift des KÖLA gedruckt Kleine Bestätigungen am Anfang motivieren sicher zum Weitermachen.

Warum bist du in den Literaturkreis gegangen?
Ich habe damals Gedichte von einem KÖLA-Mitglied gelesen, die mir gefallen haben und so fuhr ich dort hin, weil ich wusste, dort sind ein paar Autorinnen und Autoren. Ich hab ja sonst keine Kontakte mit anderen Leuten, die Schreiben, gehabt. In meiner Klasse war ich auch die einzige – zumindest wusste ich von niemandem in der Klasse, der/die auch geschrieben hätte. Vor kurzem erzählte mir mein Professor, dass ich ihm zum Abschluss der Handelsschule ein sehr langes Gedicht geschrieben hätte und er sich noch immer darüber freue. Ich kann mich daran nicht mehr erinnern – so wie ich mich an vieles nicht mehr erinnern kann.

Das Lesen hat dich sozusagen dazu gebracht, dich mit Literatur im eigenen Schreiben auseinanderzusetzen.
Dieser Deutschprofessor war ein toller Professor. Er hat uns viel Wissen über diverse Autorinnen und Autoren vermittelt, war selbst begeisterter Germanist. Das war das richtige Fach für mich. Ich habe aber nie gedacht, dass ich jemals Schriftstellerin werde, sondern eher einen Sozialberuf ergreife (Literatur ist doch sowieso eine Mischung). Ich hatte immer die Vorstellung, in der Jugendfürsorge oder als Volksschullehrerin zu arbeiten. Die Idee, dass man bei den kleinen Schulkindern noch Akzente setzen kann, hat mir sehr gefallen. Die Kleinen sind noch begeisterungsfähig
Den Beruf einer Schriftstellerin finde ich passend für mich (in jedem Fall besser als Politikerin). Eine Politikerin oder ein Politiker kann zwar ebenfalls Vorstellungen und Ideen transportieren und manchmal umsetzen, ich denke hier vor allem an die visionären Ansätze und die Vorreiterrolle der Grünen, von der Opposition werden neue Konzepte jedoch meist massiv bekämpft. Ich glaube nicht, dass ich die Kraft hätte, diese dauernden Gegnerschaften durchzustehen.

Du willst also schon etwas über die Welt aussagen.
Ich weiss nicht, ob man eine Aussage über die Welt treffen kann. Ich will etwas vermitteln, das eine Ahnung beziehungsweise ein dringendes Bedürfnis erzeugt, dieser Ahnung vom Miteinander näherzukommen, das zum Nachdenken anregt. Insofern ist dies natürlich auch wieder eine Art und Weise, Aussagen über die Welt zu treffen.

Welche Autoren haben dich beeindruckt? Wo hast du Traditionen, an die du anknüpfst?
An die Texte aus der Schulzeit kann ich mich nicht mehr wirklich erinnern. Richtig auseinandergesetzt habe ich mich erst danach, zum Beispiel mit den Ideen Novalis’, seinem fragmentarischen Schreiben. Das Assoziative, dieses Umgehen mit Gedankenfetzen. Bei Büchner, die Gebrochenheit. Das gefällt mir sehr gut. Von den Gegenwartsautorinnen und -autoren schätze ich unter anderen besonders Friedricke Mayröcker. Dieses Zerpflückte, dieses eigentlich Verletzte, entspricht auch mir, meinem Schreiben. Das ist auch auf das Leben übertragbar: Für mich ist es wichtig, das Defizit zu spüren. Ich möchte es zumindest erahnen können. Dort kann ich mit meinem Schreiben ansetzen.

Schreiben hat für dich was damit zu tun, das dir etwas fehlt.
Ja, zumindest das Erahnen, das Spüren. Ich glaube nicht, dass wenn ich aus einer Familie gekommen wäre, die rundherum total abgesichert wäre, ich dann so denken würde, wie ich jetzt denke. Das wiederum heißt nicht, dass es mir schlecht geht. Mitten im Satten zu leben: dies wirkt sich sicher auf das Schreiben eines Autors/einer Autorin aus.

Siehst du für dich eigentlich einen Unterschied zwischen dem Schreiben auf dem Land und dem Schreiben in der Stadt? Du pendelst ja zwischen Wien und Vorarlberg. Und wie beobachtest du die Verhältnisse in der "Provinz" und in der "Großstadt" Wien.
In einer Großstadt hat man mehr Möglichkeiten und ist um vieles reflektierter, weil man von allen Seiten mit unterschiedlichen Methoden und verschiedenen Formen des künstlerischen Ausdrucks konfrontiert wird. Man ist beinahe gezwungen, sich auseinanderzusetzen. Am Land ist es doch eher so, dass man sich immer noch eine kleine Welt zurechtzimmert, sich vor der Welt schützen kann. Auch wenn es einem durch das Fernsehen und durch die Zeitungen zunehmend schwerer gemacht wird. Man hat eben die Anregungen von außen nicht (wenn man das Landleben auch als solches „betreibt“), die einen zum Denken zwingen, zu einer ganz anderen Auseinadersetzung motivieren. Auch wenn man dagegen wiederum ankämpft. Aber genau das macht auch die Bewegung im Denken aus.

Gut, das war dein persönlicher Zugang. Wie gruppiert sich die Literaturszene aber am Land bzw. in der Stadt. Gibt es da Unterschiede.
Ich kann das wieder nur bei mir persönlich sagen. Also wenn ich nach Wien gehe, da kenn ich Leute, die lesen im Literaturhaus, in der Alten Schmiede, im Amerlinghaus oder Buch & Wein. Es gibt ganz viele Gruppierungen, wo zwar auch immer wieder die gleichen Leute sind, miteinander diskutieren, auch wenn sie untereinander nicht diesen persönlichen Kontakt haben. In Vorarlberg findet eher eine Vereinzelung statt. Vielleicht ist ein Unterschied auch, dass es weniger Leute am Land gibt, die Schreiben. Es sind weniger Strukturen vorhanden. Ich treffe mich mit Einzelpersonen und auch die fahren dann wieder nach Wien. Man orientiert sich sehr stark an der Großstadt.

Wann hast du zu pendeln begonnen?
Eigentlich als ich mich intensiv mit der Schriftstellerei auseinandergesetzt habe, dass ich mir sagte: Ich möchte davon leben könne.

Und wie haben dich die Leute am Land dabei wahrgenommen, wenn du das geäußert hast?
Ich habe das, in dieser Form, in der Öffentlichkeit nicht kund getan. Vorarlberg ist so klein, wenn man künstlerisch/schriftstellerisch arbeitet wird damit auch wahrgenommen. Natürlich freue ich mich, wenn Freundinnen sagen: Du malst und schreibst und das gefällt uns. Aber ich denke mir, das darf man nicht so wichtig nehmen, auf keinen Fall überbewerten. Das gäbe eine total schiefe Optik. Das ist, wie wenn einer im Dorf etwas sagt, der ein bisschen mehr oder gleich viel Gewicht hat wie der Pfarrer oder der Lehrer, dann hört man auf den. Aber er bleibt immer noch der Prophet in der Provinz. Auf nächst größerer Ebene sieht dann alles wieder ganz anders aus.

Das ist aber für mich eher eine positive Darstellung des Autors, wenn du sagst, er hat den selben Status wie der Arzt oder der Pfarrer.
Nein, denn ich denke ja, dass deren Denken beschränkt ist. Und wenn ich als Autor innerhalb dieses beschränkten Denkens oder dieser Beschränktheit einen Status erreiche, ist es trotzdem nichts.

Du meinst unter den Blinden ist der Einäugige König.
Beschränkt meine ich, nicht dumm. Ich meine einfach eingegrenzt. Ich merke das im Saumarkt. Ich organisiere dort Lesungen mit. Wenn ich jemanden von Wien einlade, dann kann ich damit rechnen, dass fünf Leute zur Lesung kommen. Wenn ich jemanden aus der Umgebung einlade oder ein literarisches "Zugpferd", dann kommen viele Zuhörerinnen und Zuhörer, weil man halt den Autor/die Autorin kennt. Hier sieht man, wie weit sich die Gesamtheit der Bevölkerung bildet oder nicht bildet, wie sie interessiert oder offen ist, wenn sie auch bei fremden bzw. unbekannten Leuten käme.

Aber ist das nicht in Wien dasselbe. Da sitzen auch nur fünf Leute im Literaturhaus, wenn sie ihn nicht kennen.
Das kann ich nicht beurteilen. Das kenn ich nicht. Ich habe mit dem Manfred Chobot darüber geredet. Der war in Kolumbien. Er war mit seiner Lyrik zum Poesiefestival eingeladen. Er hat erzählt, da waren dreitausend Besucher innerhalb von drei Stunden. Selbst bei geringem Besuch, waren noch zweihundert anwesend. Und bei uns? Bei Lyrik muss man die Lesung schon recht gut aufziehen, damit wer kommt. Da ist wieder das Defizit. Er sagt, es ist soviel Gewalt in dem Land, soviel Krieg und deswegen sehnen sich die Menschen nach Lyrik, weil sie darin einen Trost, oder ein Licht sehen.

Du studierst Vergleichende Literaturwissenschaften. Hat das irgendeinen Einfluss auf dein Schreiben genommen? Hat das Studium dein Schreiben beeinflußt, oder lief das unabhängig voneinander? Wirkt das eine aufs andere?
Ich habe eigentlich zu studieren begonnen, weil ich mich für mein Schreiben weiterbilden wollte. Nachdem ich meinen ersten Gedichtband veröffentlicht habe, dachte ich mir, dass ich Bezüge herstellen möchte, auch versteckte, die man zwar noch erahnen, aber nicht unbedingt nachvollziehen kann. Ich wollte dem Ganzen auf den Grund kommen. Das ist auch so eine Haltung bei mir: ich möchte die Dingen gerne bis zum Grund ausloten. Das ist auch bei der Technik so. Ich würde gern alle Schreibtechniken beherrschen, um sie dann anwenden zu können für meine Ideen.

Kannst du dich noch an deinen ersten Text erinnern, den du geschrieben hast?
Ja. Einer war dieses Gedicht um ein Fußballstadion, das hat sich gereimt. Und eines drehte sich um die Milch. Mit der Milch hat man mich dann regelrecht verfolgt. Es hat geheißen:
Ein Milchtopf auf dem Ofen steht,
die Zeit nicht schnell vergeht,
darum beginnt sie schüchtern
nur aufzusteigen eine Spur.
Das hat denen so gut gefallen, dass überall, wo ich hingekommen bin, es nur geheißen hat: Ah, die Kronabitter mit der Milch. Das waren Einstiegsgedicht gewesen. Sicher sehr lieb. Die Milch beschreibt eine Hausfrau, die auf die Milch aufpassen soll, dann kommt der Mann, sie küssen sich und die rinnt über. Ich habe mich davon in diesem Literaturklub in Vorarlberg nicht mehr lösen können. Mir ist das schon total auf die Nerven gegangen. Ich bin zwei, drei Jahre beim Literaturklub gewesen und wenn mich die Leiterin vorgestellt hat, dann war ich die mit dem Gedicht Milch. Dabei habe ich schon ganz andere Sachen geschrieben. Sie haben mich, wie bereits anfangs erwähnt, zwar gefördert, aber inhaltlich ist es dann eines Tages nicht weitergegangen. Das war auch der Punkt, wo ich aufgehört, dort hinzugehen.

Und wie ist es dann weitergegangen?
Dann habe ich selbst herumgewurschtelt, mehrere Kurse, Seminare gemacht. U.a. auch beim derzeitigen Kulturbeamten der Vorarlberger Landesregierung, Werner Grabher. Zusammen hatten wir auch mit anderen Autorinnen und Autoren eine Lesung. (...)
Ich bin eher an der Gegenwart und Zukunft orientiert. Ich möchte die Bezüge zur Geschichte nicht zu offensichtlich präsentieren, sondern als Grundgewebe unsichtbar bleiben lassen.

Was verbindest du für Hoffnungen, Wünsche und Ziele mit dem Schreiben?
Das ist schwierig. Vielleicht dass das Zarte zwischen einander mehr Platz erhält. Dass die Menschlichkeit im Denken der Politik wieder und Wirtschaft endlich mehr Gewicht erhält.

Was meinst du damit?
Ich nehme zwischen den Zeilen etwas auf, das bei mir etwas auslöst, das ich so befreiend finde, eben wie Urlaub oder auch wie Nichts. Diese seelische Heiterkeit. Ein leichtes Getragen-Sein zu vermitteln. Nicht ununterbrochen. Das ist es nicht nur. Es ist auch das Hinschauen auf etwas, wo man normalerweise nicht hinschaut. Auf das Traurige. Ich bin sicherlich nicht lustig.

Du bist kein fröhlicher Mensch?
Ich bin kommunikativ. Ich bin gern unter Leuten und ich liebe ihre Gesellschaft. Aber innerlich bin ich ernst. Aber das Innen ist eben kein Außen.

Und was ist das andere?
Das ist das in den letzten Winkel nachfühlen, dorthin, wo das Traurige ist. Ich möchte gern die versteckten Sachen herauskitzeln, die man sonst vielleicht nicht zu sehen bekommt.

Also auch hier wieder das Suchen nach dem Urgrund?
Ja, vielleicht.

Und wie beobachtest du die Literaturszene? Beobachtest du sie. Nimmst du an ihren Organisationen teil? Bist du eingebunden? Bist du eher Einzelgängerin?
Ich war eigentlich immer eine Einzelgängerin, bis ich begonnen habe, zum Autorenverband zu gehen. Dort hatte ich nach einiger Zeit das Gefühl, dass Klüngelwirtschaft besteht. Jetzt bin ich dran, mich einzubringen. Das ist aber schwierig, weil es bedeutet, einen Kampf gegen Arriviertes zu führen. Zumindest ich kann nicht anders, als das zu sagen, was ich denke, aber man hört nicht zu. Dann kann es schon sein, dass ich wütend werde. Bei der letzten Generalversammlung des Vorarlberger Autorenverbandes hab ich das dann auch einmal sagen müssen, dass das so nicht geht, wie man vom Vorstand her mit den Autoren umgeht. Das es immer nur drei, vier sind, die gefragt werden, die man dann auch nachlesen kann, die in verschiedenen Medien publizieren. Und andere, die sich nicht einbringen können, weil sie noch immer auf den Prinzen warten, auf den man nicht warten sollte, weil er nie kommt, gehen leer aus. Nun haben aber auch andere Mitglieder dieses Missverhältnis erkannt und begehren dagegen auf.

Der Prinz ist wer?
Das ist der, der einen befreit aus der wartenden Haltung und sagt: Ja, komm! Du bist so gut, ich habe dich entdeckt und jetzt fördere ich dich. Den gibt es nicht.

Was sollte eine Autorengruppe für eine Funktion erfüllen?
Das man sich so regelmäßig trifft, dass es von den Terminen her nicht strapaziös wird. Aber dass man regelmäßige Treffen hat, dass man so gefördert wird und auch fördert, sich vernetzt und dass es neidlos geschieht. Das ist ja ein riesiges Problem, dass viele den Neid nicht hintanstellen können.
Man sollte sich gegenseitig die Möglichkeiten eröffnen, auch was Stipendien betrifft. Ich kenne einige Leute, die behalten ihre erhaltenen Stipendien heimlich für sich, hüten die Adressen und Zugänge wie ein kostbares Geheimnis.
Eine Autorengruppe hat auch die Funktion der Textkritik. Textkritik soll offen betrieben werden, so, dass man die Kritik möglichst ohne persönliche Angriffe äußert. Es geht darum Grenzen auszutesten.
Leider ist es so, dass jemand sobald er Publikationsmöglichkeiten hat, darauf vergisst, wie es ihm zuvor ergangen ist. Kämpfen müssen immer die, die am Anfang sind. Ausnahmen bestätigen die Regel.

Ein schönes Schlusswort. Danke für das Interview.


eingestellt am: 2.8.2020 | zuletzt aktualisiert: 2.8.2020
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