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Aus dem Homeoffice eines Unbrauchbaren IV
Im Bett ist es doch am schönsten


Für ihn war das zu Bett gehen, mehr als nur einen Ort aufzusuchen, an dem er sein Haupt betten könnte, um den Schlaf des Gerechten zu finden. Er suchte es gerne auf, nicht nur nachts, auch tagsüber. Er teilte es immer frohen Mutes mit seiner Frau. Nachmittags und abends. Bevor die Nacht sich in ihm ausbreiteten konnte, berührten sie sich, während sie lasen. Sie sprachen über den Tag. Teilten sich letzte, bisher unausgesprochene Gedanken mit.

Aus achtlosen Berührungen wurden achtsame. Ihre Hand wanderte nicht bloß zufällig über seine Haut, wahllos entlang der Beine oder seines Bauches am Ansatz seiner Scham, sondern suchte gezielt nach Stellen, von denen sie wusste, dass ihm ihre Berührungen Vergnügen bereiten würden, seine Triebkraft in Gang setzen und mehr sein könnten, als eine wunderbare Hilfestellung für ein sanftes Hinübergleiten in den Schlaf.

Und er erwiderte ihre zärtliche Geste der Annäherung. Fand seinen Pfad an ihrem Körper wie sie den ihren an seinem. Ihr Suchen mündete in einer geschlechtlichen Umarmung und sie ergriff die Gelegenheit, die sich ihr bot. Legte sich auf ihn, spürte, wie sich ihre Wärme und Feuchtigkeit an seiner Scham ausbreitete. Sie nahm sich Zeit. Es bestand kein Anlass zur Eile. Ihr Begehren war ein zärtliches, sanftes. Sie fasste nach seiner Härte, berührte damit ihre Vulva, spielte an ihrem weichen Eingang und wies ihm dann den Weg in ihr Innerstes.

Er gab ihr nach, entspannte sich, spürte ihr nach, überließ sich ihrem Rhythmus. Nicht weil sein Körper schon davor ein Danach verlangte, sondern weil der Akt sich aus dem zufälligen Spiel ihrer Hände ergeben hatte. Seine Frau bewegte sich nicht heftig, um zügig zum Höhepunkt zu kommen, wie an manch anderen Abenden, wenn der Beischlaf, wie der Klang des Wortes selbst schon andeutete, der Einnahme eines vom Arzt verschriebenen Medikamentes glich. Die Triebabfuhr als Arznei gegen die Unruhe, den Unwillen, die Streitsucht, die sich ausbreiten konnte zwischen ihnen, wenn die körperliche Vereinigung zu lange ausblieb. Sich die Kraft der Tage, die Freude und die sich aufbauende Spannung, nicht in einem schnellen, heftigen Gewitter entladen konnte, wie der Regen an heißen, schwülen Sommerabenden zur Beruhigung und Entspannung der sich über den Tag aufbauenden knisternden und elektrisierten Luft beitrug.

Doch dieser Akt war kein medizinisch gebotener, kein reinigendes Unwetter, in dem der Bach sein Bett verließ und Blitze in Gehöfte einschlugen. Heute verband sie beide ein gegenseitiges Begehren. In anderer Weise wie der Tag es konnte. Sie nahmen sich Zeit. Waren nachgiebig. Lieferten sich aus. Gaben sich preis. Nahmen sich an, mit allem, was sie wollten und begehrten. Und als es vorbei war, lagen sie da, dicht aneinander geschmiegt. Körperlich ergänzt, gedanklich getrennt. Wie nach einem Sommerregen, der nach schwerer Hitze das Land befriedete. Seine Hände wanderten über ihre entspannte Haut. Und während er in den Schlaf hinüber glitt, erinnerte er sich wie jeden Abend der letzten Monate an vergangene Zeiten. Er nannte sie nicht die verlorenen. Er war auch nicht auf der Suche nach ihnen. Er sehnte sie nicht mehr herbei. Er bedauerte nichts.

Erinnerungen tauchten aus verborgenen Regionen auf und verschwanden wieder in jedem seiner letzten wachen Atemzüge. Vor ihm lag ein beruhigend vorhersehbares Leben. Und er dachte, er hatte für seine Frau noch ein Begehren, das sich auf sie richtete, auf ihren Körper, ihr Geschlecht, ihren Duft und es entstand nicht alleine aus der Angst vor Einsamkeit und er hoffte, dass es ihr ähnlich mit seinem Körper erging.

Manchmal dachte er, dass ihre körperlichen Substanzen einander anzogen – beinahe magisch – wie in den Tagen ihrer ersten Begegnungen. Andere würden von der Verwandtschaft zweier Seelen sprechen, die sich gefunden hätten. Doch das lag jenseits seiner Erfahrungsmöglichkeiten. Er war Materialist, bis in die letzte Faser seines Verlangens, begehrte er die Materialität seiner Frau, um ein gemeinsames und langes Liebesleben zu einem guten Ende zu bringen. Und das war mehr, als die meisten Paare miteinander hatten. Selbst jene, die von einander behaupteten, seelenverwandt zu sein, konnten kein Leben wie das ihre vorweisen, am Ende. Und letztlich entschied sich, ob ein Leben geglückt wäre, immer nur in der Rückschau, dachte er, während er ihren warmen Körper spürte und seine abschlaffende Härte an ihrem Gesäß. Er drängte sich an sie und erfasste in seinem letzten wachen Moment, dass auch sie sich an ihn schmiegte und er schlief mit dem beruhigenden Gedanken an ein beständiges und vertrautes Erwachen ein.

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eingestellt: 30.9.2021 | zuletzt aktualisiert: 30.9.2021
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