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vom utopischen gehalt der zwei
essay über das was den menschen ausmacht


manche sagen es gäbe nur zwei große themen in der kunst die liebe und den tod manche sagen es gäbe nur noch zwei möglichkeiten einen roman zu schreiben als fiktion und als autobiographie ja und die deutschsprachige zeitgenössische literatur gibt ihnen recht sie ist voll mit romanen über die liebe das leben und das sterben sie ist voll von weltenerfindungen den besten aller welten und den katastrophenwelten apokalyptischen und postapokalyptischen welten sie ist voll von autobiographien die ihr selbst bespiegeln als würde sich darin eine antwort auf die fragen der zeit finden als würde sich darin ein utopischer impuls finden der weiter reicht als bis zur äußersten membran des menschen mit der er sich selbst in berührung mit der welt bringt nach der er sich sehnt wie nach nichts anderem haut an haut geschlecht an geschlecht wort an wort und doch bleibt er genau an dieser membran in sich selbst verschlossen einsam mehr noch vereinzelt wie zu keiner zeit in der geschichte zuvor

wir suchen nach dem paar dem gemeinsamen das die zwei miteinander verbindet das aus einem einsam ein zweisam macht und übersehen dabei dass die verdoppelung lediglich zwei ergibt aber noch kein paar keine gegenüber keinen gegensatz der uns zu etwas herausragendem oder besonderem machen würde die zwei ist lediglich ein schwaches echo auf die eins eine spur die immer zurückweist auf den ursprung

wenn von zwei die rede sein soll dann müssen wir doch davon sprechen welchen sinn zwei haben sollen die durch die welt irren als wären sie auf der suche

die menschen suchen ihr althergebrachtes glück streben danach als läge es am straßenrand irgendwo verborgen und sie müssten nur lange genug wandern durch berg und tal und flur um es zu finden wie ein vorhergesehnes eigentum doch das was wertvoll ist findet sich meist durch uns hindurch am wegrand ein leuchten in der nacht ein licht entlang der pfade die wir gehen das flimmert und pulsiert gleich morsezeichen im herannahenden tag der sich vom föhn geplagt über die gewässer wirft manches aufgefundene lassen wir zurück weil wir das eingewurzelte nicht aus heimatlicher erde lösen wollen weil wir nicht dem tode gleich das leben aus unserer mitte zerren wollen doch das fundstück unser gegenüber unsere seelenverwandten ehren durch unser bleiben ist uns nicht möglich weil wir durch den tag hasten der verborgen vor uns liegt und sich als erinnerung und sinn nur zeigt im dämmerlicht des abends wenn die ersten lichter ins dunkel fallen jedes für sich der reihe nach

am ende hängt das leben nicht am suchen sondern am finden und am gefunden werden zur falschen zeit am falschen ort doch in seltenen momenten den herausragenden den glückseeligmachenden wenn alle zeit still steht und die welt sich um sich selbst dreht als wäre sie ein karusell und man darin ein mittelpunkt dann ergibt das leben plötzlich sinn und wir leben als gäbe es kein morgen im jetzt im hier gefunden

zwei müssen sich finden sagen die menschen jeder topf hat seinen deckel jede stute ihren hengst jeder hänsel seine gretel doch worin besteht der sinn der zwei der zweisamkeit der sinn dessen was wir beziehung und paar nennen dessen was wir zusammenschluss nennen denn die paarung ist nichts weiter als das fortbestehen dessen was wir als leben als evolution kennen die zwei halbiert das potential des zu findenden

manchmal finden sich die richtigen am falschen ort und die falschen am richtigen ort und manchmal ist da auch noch die zeit die die möglichkeiten der unwahrscheinlichen paarung verdoppelt wenn wir von zwei sprechen sprechen wir ja nicht nur von möglichkeiten sondern auch von wahrscheinlichkeiten die sich in zeit und raum verwirklichen der ewigen paarung in der geschichte wo das eine ohne das andere nur in der fiktion und bei franz k bestehen kann der es als einer der wenigen geschafft hat das oben gesagte ad absurdum zu führen denn er hat innerhalb der fiktion autobiographisch geschrieben und dabei zeit und raum in ihrer vollständigen und absoluten dualität aufgehoben und damit die möglichkeit durch die liebe hindurch zu sterben und durch die liebe hindurch den tod zu überwinden wie hebel das jahrzehnte zuvor noch konnte beendet in einer zeit als die liebe in der lage war alles zu überwinden selbst den einen den einzigen todesbringer dem wir die eins und die zwei verdanken der uns aus dem paradies der absoluten zwei verbannte der uns eine dritte sandte die schlange das tödliche gift für die zwei das sie trennte in das eine und das andere das sie voneinander schied und verstieß und das sie zu suchenden machte nach der verlorenenen einheit die aus dem bestand was in seinem urspung harmonie bedeutete

doch das führt zu weit es ist noch zu früh für die drei noch sind wir bei den grundlagen dem was die drei und das was auf sie folgt die vier und die fünf und sechs und sieben und letztlich die unendlichkeit erst ermöglicht denn das ist was literatur in ihrem wesen bestimmt wie manche sagen zeit und raum aufzuheben denn was wäre denn das für ein armseliges aus dem paradies verstoßenes leben wenn das einzige was uns blieb die zeit wäre die wir durchleben müssen unsere zeit die absolute einzige zeit der wir ausgesetzt sind eine zeit des schlachtens und mordens der gier und verschwendung der sexuellen und psychischen gewalt eine zeit in der das abendland vor sich hindämmert auf den wegen die im dunkel liegen weil das licht des morgenlandes im kriegerischen chaos untergegangen ist in der schamlosen dürren und maßlosen unterdrückung die sich in unseren behausungen reproduziert in unseren geographischen utopien die sich nur noch als negative utopien als anthropologische konstante eines menschen zeigen der gewillt ist sich selbst auszulöschen für den zweck der eigenen unsterblichkeit

ja die zwei ist die dualität die uns fesselt und hemmt die uns ausspart aus der welt die uns einkreist und entzweit der ein drittes nur als reproduktion gegenübertritt als reproduktive hälfte zweier ganzer und die sich schon in der geburt begreift als zwei hälften der vorgefahrenen und das nur durch mühsal und anpassung sich selbst sich zu einer eins entwickeln kann die sich wieder auf die suche nach der zwei begibt die sie vervollständigt oder ihn nach der kardinalzahl die in der suche das andere ist das fremde das begehrte das gewollte und in manchen fällen das gesollte aber in der begegnung wird das begehrenswerte zum einzigen zum allmächtigen schicksal zum unzertrennlichen zum siamesischen mitgewachsenen in guten wie in schlechten zeiten in liebe und in abneigung im kraftvollen begehren und der schlaffen willenlosen keuschheit in der wir in ewigkeit leben amen

und an dieser stelle könnte es schon enden wenn nicht dieses amen sich eingeschlichen hätte dieses elende kainszeichen das wir mit uns tragen von geburt an bei tag und nacht mit kain und abel und schuld und sühne wie kann es enden an dieser stelle an der die moral der geschichte sich in der kulturellen moral des abendlandes erschöpft zurückzieht als paar das den tag im abendland scheidet von der nacht denn wenn das eine ist kann das andere nicht sein denken wir und beten mit einem amen gegen schluss mit dem wir uns binden fest machen wie ein schwankendes schiff ans ufer gelangt sich an der mole festmacht im sturm um dem untergang zu entgehen so wie sich der mann an die frau bindet und die frau an den mann der sklave an den herrn und der herr an die sklaverei und der soldat an den krieg und der krieg an den heroen und der arbeiter an seinen lohn und der unternehmer an den mehrwert so gehen wir von der nichtung des einen in das seiende des anderen und kehren in die nichtung zurück in einem ewigen kreislauf in dem das eine durch das andere genichtet wird

wenige nur wissen davon andere glauben an die natur an die göttliche kraft ein werden und vergehen ein auferstehen und leben doch manche wissen vom kreislauf der aus dem absoluten nichts ins sein führt und zurückkehrt einer hat es urlaub vom nichts genannt und nur was in diesem urlaub im zwischenraum des nichtenden nichts liegt das zählt sagen die die sich leider keine millionäre nennen aber das dazwischen ist kein gegensatz das dazwischen ist das leben und wenn es eines sein soll so bedarf es eines sinns denkt der mensch und macht sich auf die suche doch wo ist sinn zu finden im gegenüber im anderen im fremden

das fremde wird wenn es zum spiegelbild verkommt zum eigenen zum heimischen zeigt sich irgendwann als stillstand und wenn zwei spiegelbilder still stehen bleibt jeder für sich und nur wenn ein drittes aus ihrer mitte tritt zerspringt der spiegel und ein kaleidoskop der möglichkeiten zeigt sich in den splittern und alles wird in alle himmelsrichtungen zerstoben das paar getrennt jeder eins darum wollen wir den anderen fremd behalten und wissen doch dass er uns eingeboren wird wenn wir gemeinsam räume durchschreiten und zeiten durchlaufen

das dritte ist das was uns gefährdet als paar und uns aus der kette der eins befreit nicht das eine nicht das andere nicht das gegenüber das gefundene das gewohnte das harmonische das in liebe oder zorn aneinandergeratene das durch gleichheit oder gegensatz zusammengeführte das dritte die drei ist was uns auseinanderreißt was das paar abtrennt vom humus aus dem das bekenntnis zueinander wächst das dritte ist das was uns in bewegung hält uns zum vierten führt zum fünften und so weiter jeden tag bis in alle ewigkeit

die zwei bilden keine welt sie sind keine gruppe von zahlen sie sind eine aneinanderreihung von eins und zwei nicht einmal eine kette von einsen und nullen das unterscheidet sie von allen zukünftigen welten die aus nichts und einsen bestehen das paar jedoch gründet sich in der zweiheit der einsen die jeweils das komplementär des anderen bilden für den einen ist das andere die zwei und für die zwei ist das andere die eins doch das ist für weltbegründung nicht genug genügt oft nicht für ein genügsames und friedvolles lebenswerk ähnelt mehr einem fluchtpunkt einer zuflucht einem erholungsurlaub doch jeder urlaub der zu lange dauert dem fehlt es an tätigkeit an entwicklung an arbeit denn arbeit hält den mensch im kern zusammen befeuert seine hoffnungen seine moral

im hochofen glüht die kohle und die glut lässt sich nur durch arbeit am leben halten nicht durch die entfremdete arbeit sie ist kalt eisberggleich die aufgezwungene die totalitäre arbeit unter der knute des kapitals die lohnarbeit nein die tätige die wohltätige die gemeinsame die demokratiefähige die dienende arbeit egal ob sie kreativ geistig handwerklich oder was auch immer sei die unbezahlte arbeit die selbstständige die durch die welt der anderen motivierte die aus sich selbst geborene die arbeit für die anderen die durch und mit anderen wirksamkeit entfaltet das ist die arbeit die uns mit der welt verbindet die uns in der welt hält nicht die beziehung zwischen zweien ob gleich oder beherrscht ob frei oder versklavt die zwei verbindet uns nicht mit der welt es ist die arbeit die uns zu den anderen führt in ihren dienst stellt sie ist das was welt zur welt macht

und da sind wir beim urgrund allen seins zurück beim gegensatz denn die zwei liest sich ja wie ein gegensatz wie eine einheit und ist doch beides gegensatz und einheit zugleich und weil dem so ist ist eben die welt nicht aus der eins geboren sondern aus der zwei aus der verdoppelten eins in deren zweiheit die drei bereits angelegt ist weil sich in der drei die welt verwirklicht nicht als vater und sohn und heiliger geist und auch nicht als vater und mutter und kind die grundlage für die welt ist im vorbild der teile zu finden die das leben begründen wie in zwei teilen sauerstoff sich die basis für die existenz bildet doch leben ist erst möglich wenn noch ein drittes und fremdes hinzukommt der wasserstoff denn zwei elemete sauerstoff machen noch kein leben nur gemeinsam mit dem wasserstoff bilden sie das woraus alles geboren wurde das wasser in dem die erste zelle wuchs aus der zwei wurden dann drei und schließlich der zellklumpen den wir heute mensch nennen der durch die phyische und psychische vereinigung mit anderen zellklumpen eine drittes schaffen kann

darum wollen wir die zwei als den beginn von allem nicht als das ende sehen nicht das was uns durch die zwei die paarung die doppelung von der welt trennt sondern das was uns durch die zwei für sie öffnet auf sicherem boden das aufstrebende erkunden das ausufernde das solidarische das zuneigende das anziehende das utopische

eingestellt: 2.1.2020 | zuletzt aktualisiert: 2.1.2020
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