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Die Rückkehr des Feudalismus
Der lange Arm der Geschichte greift nach uns. Das Primat der Ökonomie, das in den achtziger Jahren ausgerufen wurde, ist heute zu einem Fetisch der Politik geworden. Ich höre die Politiker Land auf und Land ab rufen, der Staat schafft keine Arbeitsplätze – nur die Wirtschaft. Dieser Satz ist nicht nur eine Lüge, sondern darin verbirgt sich auch ein Glaubensprinzip. Erstens schafft der Staat durchaus Arbeitsplätze, denn Polizist*innen, Lehrer*innen, Krankenpfleger*innen, Reinigungskräfte, selbst Soldat*innen sind zu hunderten und tausenden vom Staat engagiert, um ihn am Laufen zu halten und geben der Wirtschaft dadurch die Möglichkeit, ihren unlauteren Geschäften nachzugehen. Zweitens und das ist, was dieser Satz eben vor allem verschleiern möchte, durch den Gebrauch des Wortes Wirtschaft wird ja noch nicht ausgesagt, von welcher Wirtschaft gesprochen wird.
Wir sprechen heute von der kapitalistischen Marktwirtschaft, von einer angeblich ökosozialen Wirtschaft, wobei sich mir bis heute nicht erschließt, worin das soziale und ökolgische des euroamerikanischen Wirtschaftsmodells bestehen soll, dass sich wie ein Lauffeuer seit den achtiger Jahren über die Welt ausbreitet. Zu Beginn waren es Strohfeuer, angefacht von den Apologet*innen des Manchsterkapitalismus, der zwar durch diverse Revolutionen und Reformbewgeungen abgeschwächt wurde, aber eben nie verschwunden ist aus unserer Welt, wie Thatcher und Reagan bewiesen haben. Seit den achtziger Jahren haben sie ausgehend von Großbritannien und den USA alle Lebensbereich ökonomisiert und der Logik der Mehrwertproduktion unterworfen. Wahlen dienen heute letztlich nur noch der Zementierung dieser Logik, denn Politik widersetzt sich ihr nicht mehr. Selbst die Klimapolitik folgt dieser Logik, wenn sie sagt, die grüne Transformation wird sich ökonomisch lohnen. Wenige stellen die Frage, für wen?
Das Tragische daran ist ja nicht, dass die Reichen immer reicher werden oder die Armen immer ärmer sondern dass wir denken, es sei ein Naturgesetz, dass dem so ist. Wir, die Boomer, haben doch immer schon gewusst, dass die Politik im Solde des Kapitals steht, doch jetzt hat sie selbst den letzten Anschein von Unabhägigkeit aufgegeben, in dem sie in ihrer Rhetorik nicht einmal versucht so zu tun, als wären sie handlungsfähig. Das Tragische ist, die Politik ist nicht mehr in der Lage oder nicht merh Willens gegen den militärisch-kapitalistischen Komplex zu regieren. Aber noch viel Tragischer ist, dass die Bürger*innen auf diesen Verlust der politischen Bewegungsfähigkeit nicht mit einem Aufschrei, einem Aufstand oder gar einer Revolution antworten, sondern mit einem Wahlverhalten, das den Neoliberalen, nein, sie sind über diese Grenze längst hinweg, den Neofeudalen in die Hände spielen. Immer mehr Menschen driften nach rechts ab, weil sie denken, dort finden sie Schutz und Sicherheit. Was sie dort finden ist Autoritarismus, Notstand und Krieg.
Der Angst der Bürger*innen vor politischem und sozialen Abstieg, vor dem Verlust sozialer Sicherheit und bürgerlicher Gewissheiten, treibt sie in die Arme derer, die nichts anderes im Sinn haben als die, wie es Marx einmal formulierte offene, unverschämte, direkte, dürre Ausbeutung. Bisher konnte der Sozialstaat in Europa dies verbergen, doch in den Ländern Afrikas, Lateinamerikas und seit auch in den Vereinigten Staaten zeigt der Kapitalismus neuerlich seine hässliche Fratze. Wir haben den Kapitalismus der englischen Vorstädte überwunden auf Kosten der Länder im Süden und dachten, wir wären ihn endgültig losgeworden, doch es scheint, als kehre er nun gestärkt und hungrig in seine europäischen Erblande zurück.
Doch die Abstiegsängste der Bürger*innen sind nicht mehr nur ökonomischer Natur oder werden von ethnischen Konflikten angetrieben, sondern sie werden auch von der Angst des weißen Mannes vor ihren eigenen Frauen angestachelt. Die Angst der Männer vor der Unabhägigkeit der Frauen, die mittlerweile gebildeter sind als sie, die vor männlichen Übergriffen durch Gesetze des Rechtsstaates geschützt werden und die sich zusehnds sexuell verweigern, wenn sie nicht bekommen, was ihnen zusteht, all diese Vorgänge treibt sie in die Arme derer, die sie am Ende in kriegerische Auseinandersetzungen hetzen. Am Ende sind es wieder gerade Männer, die sich an der Front gegenüberstehen, für Heimaterde und Vaterland und für die Rettung derer, die sie in den Krieg führen.
Der Neofeudalismus hat sich spät aber doch für seinen Sturz durch die Aufklärung gerächt. Die geköpften Könige und hingerichteten Zaren sitzen in ihren himmlischen Palästen und lachen sich ins Fäustchen. Wenig hat sich geändert. Wir Europäer*innen bekommen nun spät aber doch, die Rehcnung präsentiert, für unsere Vernachlässigung der übrigen Welt. Wir haben uns eingekuschelt in unserem Wolkenkuckucksheim und dachten, wenn wir den Kapitalismus nur ausreichend sozialdemokratisieren und begrünen, dann verschonen uns die neuen Könige, Zaren und Kaiser. Doch wir haben uns gerirrt. Mit Unterstützung der chinesischen und anderer Werkbänke allüberall auf der Welt haben sie sich durch die Hintertür in die euroamerikanischen Demokratien geschlichen, mit ihren asozialen Medien. Nichts hat sich geändert, nur die Namen sind ausgetauscht, statt der kapitalistischen Feudalherren Carnegie, Vanderbuilt, Rockefeller, und Rothschild regieren heute Gates, Bezos, Musk, Zuckerberg oder Buffett.
Nirgendwo kann man die Implosion der Aufklärung deutlicher sehen als in Amerika. Elon Musk hat sich ins Herz der amerikanischen Gesellschaft eingekauft. Er hat sich zurückgeholt, was seinesgleichen in der amerikanischen und französischen Revolution geraubt wurde. Das Haupt des Königs, die Krone Englands, die in der amerikanischen Revolution verloren ging, hat er sich nun selbst aufgesetzt hat. Funkelnd und mächtig sitzt die Baseballkappe als Symbol der Macht auf seinem Haupt, denn nichts symbolisiert die verlorene Macht der Aufklärung so sehr, wie die Baseballkappe des einfachen Mannes auf dem Kopf eines Milliardärs. Das Gefährliche an Männern wie Bezos und Musk ist ja, dass sie sich längst über das, was Kapitalist*innen immer reich gemacht hat, hinwegsetzen können. Ihr Reichtum hängt nicht mehr an Grund und Boden, an Schürfrechten. Ihre Grunderwerbsanteile sind digitaler Natur, ihre Schürfgründe sind die sozialen Medien und ihre Heilsversprechung ist die Eroberung des Weltraumes, ein Flug ins All für jederman. Ihre stärkste Waffe ist keine Kalaschnikow oder ein Panzer oder gar eine Interkontinentalrakete. Ihre stärkste Waffe ist der Konsum. Ihre Soldaten tragen keine Stahlhelme, sondern Kreditkarten. Und ihr größtes Versprechen ist ein Begräbnis auf dem Mars für jedermann.
Wer kauft wird geduldet und darf leben, wer sich verkauft ist nützlich und wird unterstützt, alle anderen sind unbrauchbar geworden und dürfen sich weiterhin auf den real existierenden Schlachtfeldern der Welt mit anderen messen, Mann gegen Mann, und seit neuestem auch Frau gegen Frau, in Gemetzeln den Feind niederringen und so mit ihrem Blutzoll die Erde befreien von unnötigen Esser*innen. Der Verlust von Soldat*innenleben ist wieder in Mode gekommen, ist wieder salonfähig in den Diktaturen der Welt, selbst die ehemals aufgeklärten Demokratien scheuen sich nicht mehr, vom Krieg als notwendigem Übel zum Erhalt der Sicherheit zu schwafeln. Die Gesellschaft, oder wer will, soll die Gemeinschaft auch Volk nennen, zieht wieder in den gerechten Krieg. Das Feld der Ehre wird wieder beackert, für die Interessen einer schmalosen, rücksichtslosen und neofeudalen Elite.
Die eigentliche Tragödie unserer Zeit ist nicht die Klimakrise, sie ist nur ein Symptom einer viel tiefgreifenderen, systemischen Transformation. Die eigentliche Tragödie unserer Zeit ist die Implosion der Aufklärung, die sich in der Lähmung des politischen Betriebes, der Angst der Bürger*innen und der Rückkehr der Feudalherren manifestiert.
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eingestellt: 13.8.2024 | zuletzt aktualisiert: 29.11.2024
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