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Marie Langer
31. 8. 1910 Wien | Buenos Aires 22. 12. 1987



Mutterschaft und Sexus | Theorie der Weiblichkeit

Neben dem Sozialismus hat die Frauenfrage Marie Langer Zeit ihres Lebens beschäftigt und dabei vor allem die psychosexuelle Entwicklung der Frau, ihre sozialen Lebensbedingungen, ihr daraus resultierendes starkes Über-Ich und die damit in Verbindung stehenden Schuldgefühle. Und die Frauen interessierten sie nicht nur, weil darin ihre eigene Lebensgeschichte thematisiert ist, sondern weil ihre Lebenssituationen auch auf ein allgemein-gesellschaftliches Problem verweisen. Anfangs stand bei diesem Interesse noch ihre eigene Lebenserfahrung im Vordergrund, ihre Beziehung zu Mutter und Schwester, ihre eigenen Schwangerschaftsstörungen und Fehlgeburten vor ihrer Emigration, ihre Erfahrungen als Mutter von drei Söhnen und zwei Töchtern, die auch im Zusammenhang mit ihrer beruflichen also psychoanalytisch-politischen Laufbahn gesehen werden müssen. Marie Langers Standpunkt: Schuldgefühle taugen nicht, sondern behindern die Menschen und müssen daher reduziert werden, zeigt ihren Willen, sich von traditionellen Auffassungen zu lösen. Diese Aussage trifft vor allem auf die Frauen in ihrer Rolle als Mutter zu, und Marie Langer richtet daher einen Appell an die Therapeuten und Analytiker (hier sind explizit die Männer gemeint) die modernen Mittelschichtfrauen nicht noch mehr mit Schuldzuweisungen zu quälen, wenn sich Frauen in ihrer Mutterschaft und Berufskarriere verwirklichen wollen, sondern sie davon zu entlasten, davon zu befreien. Am Ende ihres Lebens ruft sie ihre männlichen Berufskollegen dazu auf, sich nicht ausschließlich auf Sigmund Freuds Konzepte der weiblichen Psyche zu stützen. Dieser Aufruf markiert den Endpunkt einer Entwicklung, die mit ihrer persönlichen sexuellen Rebellion gegen die ihr auferlegten bürgerlichen Schranken ihrer Familie begonnen hat: Bezieht Euch nicht (...) auf Freuds Konzept der weiblichen Psyche; sagt eurer Patientin nicht, daß sie aus ihrem Penisneid heraus dieses oder jenes Studium beginnen will oder eine Verantwortung außerhalb des Hauses übernehmen möchte. Gebt ihr nicht die Schuld, wenn ihr Kind krank oder im Kindergarten aggressiv oder Bettnässer ist. Das kann vielleicht damit zusammenhängen, daß sie arbeitet oder sich gerade scheiden läßt, aber bei vielen Kindern traditioneller Mütter passiert das auch. Außerdem sind wir nicht perfekt - weder wir, noch unsere Eltern, noch unsere Kinder. Mehr noch: wie Freud schon gesagt hat, sind wir das Ergebnis unseres biologischen Erbes, unserer Konstitution und auch der Erlebnisse in der Kindheit. Deshalb beschuldigt nicht nur die Mutter, sondern analysiert besser eure Wut auf die eigene Mutter - eine Wut, die sich manchmal über die Gegenübertragung auf die Patientin äußert. Die Mütter scheinen immer die Schuldigen zu sein: ja - die Frauen im allgemeinen, auch im Bett. Sie glauben doch wohl nicht mehr wie Freud, daß eine Frau, um ‚wirklich weiblich’ zu werden, das Lustempfinden ihrer Klitoris opfern muß? (Langer 1986:271-272)

Wie schon ausführlich beschrieben, kam Marie Langer auf Grund einer negativen Identifikation mit ihrer Mutter und Schwester zu der Erkenntnis, sich vom Lebensentwurf der Dame zu lösen und durch die positive mit dem Vater eine Berufskarriere im medizinisch-therapeutischen Bereich zu beginnen. Schon sehr früh spielten in ihrem Lebensentwurf als Frau zwei Problemkreise eine wesentliche Rolle: Sexualität und Mutterschaft. Während in ihrer jugendlichen Revolte die Sexualität als befreiendes Element eine große Rolle spielte, und die Mutterschaft immer auch eine Art körperliches Bedürfnis war, kam später in ihrer beruflichen Karriere eine theoretische Auseinandersetzung mit diesen beiden Problembereichen hinzu, die schließlich im Buch maternidad y sexo (1951) gipfelte, auf das ich später noch genauer eingehen werde.

So sehr sich Marie Langer vom bürgerlichen Entwurf der Dame, der die bürgerliche Frau in enge gesellschaftliche Grenzen zwingt, lösen wollte, so sehr internalisierte sie diese Rolle, so daß es ihr in Buenos Aires ein leichtes war, auf diese in der Führung und bei der Repräsentation ihres Haushaltes zurückzugreifen. Die Dame in ihr ermöglichte es, daß sie den Umgang mit Geld und Hauspersonal beinahe selbstverständlich beherrschte. Jedoch gibt es einen grundsätzlichen Unterschied zu ihrer Mutter: Marie Langer war eine selbständige, finanziell von ihrem Mann unabhängige Frau, die sich bis zu einer bestimmten gesellschaftlichen Grenze selbst bestimmen konnte, was sie jedoch in der Klassen-, Geschlechter- und Ethnienfrage (ihr Hauspersonal war nicht nur sozial unterprivilegiert und weiblich, sondern auch indianisch, aus dem Norden des Landes zugewandert) in den bereits thematisierten Widerspruch zwischen der Kommunistin und der bürgerlichen Frau brachte. Die Thematisierung dieses Problemkreises gelang ihr erst sehr spät und auch nur bruchstückhaft.

Die große Bedeutung ihrer Arbeit als Frau liegt wohl einerseits in den Identifikationsmustern, die sie anderen Frauen auf Grund ihres engagierten Lebens bot, und anderseits in ihrer theoretisch-psychoanalytisch-politischen Position, die sie in der Frauenfrage und feministischen Diskussion bezog, auf die ich nun in weiterer Folge näher eingehen möchte. Drei Entwicklungsstadien sind in Marie Langers frauenbewegtem Dasein zu unterscheiden. Das erste Stadium war ein von sehr privaten Auseinandersetzungen gekennzeichnetes, geprägt von jugendlicher Revolte, sexuellen, ehelichen und lebensgemeinschaftlichen Experimenten (die auch in ihrem späteren Leben anhielten), Beziehungen zu Männern und ihrer Fehlgeburt vor der Emigration nach Argentinien. In beruflicher Hinsicht stützte sie sich während ihrer Ausbildung in Wien eher unreflektiert auf die psychoanalytischen Konzepte Sigmund Freuds, weil damals wohl auch niemand auf die Idee verfallen wäre, etwas anderes zu lehren oder zu denken.

In Wien stellte sie also die Thesen Sigmund Freuds und Helene Deutschs zur weiblichen Sexualentwicklung nicht in Frage, und auch zum Thema Mutterschaft hatte sie eher einen persönlichen Zugang. Zu dieser Zeit standen eindeutig der Sozialismus und die Kapitalismuskritik im Vordergrund ihres politischen Handelns. Erst ihre Emigration nach Argentinien brachte in dieser Hinsicht eine Wende. Einerseits konnte sie endlich selbst Mutter werden, und anderseits kam sie in ein anderes psychoanalytisches Klima, das sich in der theoretischen Auseinandersetzung um die weibliche Sexualentwicklung eher auf Melanie Klein und die englische Schule stützte, denn die APA war kleinianisch: Aber Kinder haben war für mich besonders wichtig. Ja, fast körperlich gesehen. Obzwar meine Jüngste natürlich...Ich meine, von den Vieren, geplant war eigentlich keines. Und zwei sind Diaphragma-Kinder. (...) Es war vielleicht auch gegen unsere Zeit. Ich hatte nämlich eine Genossin, Parteigenossin aus Wien, die ich dann immer in Buenos Aires getroffen habe. Sie war dann meine Schneiderin und wir haben immer getratscht. Die hat mir einmal gesagt: ‚Du, wieso bist du eigentlich auf die gute Idee gekommen, Kinder zu bekommen?‘. Denn es war eine Zeit in Wien, wo man keine Kinder bekommen hat. Weil man zu arm war, weil der Krieg kommt, weil es zu unsicher war. Und ich wär auch nicht auf die gute ‚Idee‘ gekommen, glaube ich, wenn ich nicht in Argentinien gewesen wäre. (Fassbind u.a. 1988:29)

Und die dritte Phase trat ein mit dem neuerlichen Kontakt zu den deutschen und schweizer Psychoanalytikerinnen in Zürich, Freiburg und Frankfurt, wo sie die unterschiedlichen Zugänge zur feministischen Diskussion erfuhr, die sich aus der Differenz im Denken von Frauen ergaben, die in Lateinamerika oder Europa lebten. Sie kam schließlich zu der Losung, daß die Patriarchatskritik wichtig sei, aber nur vor dem Hintergrund des Sozialismus Erfolg haben kann. (Langer 1986:274-275)


Doch bis dahin vergingen noch vierzig Jahre. Am Beginn dieser Entwicklung schloß sich Marie Langer der psychoanalytischen und kommunistischen Bewegung an, als sich die fortschrittlichen Kräfte in Europa bereits mit dem aufkeimenden Faschismus ein Rückzugsgefecht lieferten - etwa Mitte der dreißiger Jahre. Für mich haben ihre Hinwendung zur kommunistischen Partei und zur Psychoanalyse neben den sehr individuellen (im einen Fall eine Bewunderung der russischen Revolutionärinnen, im anderen ihre sexuellen Schwierigkeiten, ihre persönlichen Neurosen und die Erfahrungen in der psychiatrischen Frauenabteilung unter Heinz Hartmann (Vgl. Fassbind u.a. 1988)) auch gesellschaftliche Gründe, die auf die soziale Position der bürgerlichen Frau in der damaligen Zeit verweisen.

Kommunismus und Psychoanalyse ermöglichten den Frauen - vor allem jenen der Mittel- und Oberschicht - aus dem Rollenverhalten ihrer Mütter und Großmütter auszubrechen, sich nicht nur als eigenständige Handlungspersönlichkeiten einzubringen, sondern auch ihre intellektuellen Potentiale zu nutzen, die nun, auf Grund des von Frauen erkämpften Zugangs zur höheren Bildung, stärker ausgebildet waren. Zusätzlich standen beide Bewegungen den Frauen und ihrer Sexualität wesentlich aufgeschlossener gegenüber als andere soziale Gruppierungen dieser Zeit, auch wenn gleichzeitig die sich entwickelnden Organisationsstrukturen männerbündisch waren, und die von Frauen eingebrachten Anteile beim Aufbau entweder vereinnahmt oder mystifiziert und so entschärft wurden. Im Falle der Psychoanalyse und ihren Institutionen sind zahllose Mythen über die Rolle der Frau entstanden und der Funktionen, die sie in der Entwicklung der psychoanalytischen Bewegung übernehmen konnte. Als Marie Langer sich einer Lehranalyse (1935/36) unterzog, war die Position der Frauen abgesichert, auch wenn ihnen der Vorstoß in die entscheidenden machtpolitischen Funktionen von den Männern verwehrt worden war. Sie hatten zwar auf allen Ebenen der Ausbildung und der Vereinsorganisation ein Mitbestimmungsrecht und konnten sich aktiv engagieren, aber eine Frau als Präsidentin der WPV bzw. IPV wäre mit Ausnahme einer Blutsverwandten Sigmund Freuds, nämlich seiner Tochter Anna, undenkbar gewesen. Trotz aller Widersprüche ermöglichte die psychoanalytische Bewegung der Frau aber ein weit aktiveres Engagement als in anderen Wissenschaftsgebieten, auch wenn Frauen notwendig für das emotionale Gefüge und zugleich unverzichtbar als Arbeitskräfte waren und sind, zeigt sich eine Besonderheit der Psychoanalyse (...), daß die Frauen hier - jenseits aller üblichen, aber immer wieder empörenden Funktionalisierung und Ausbeutung - ein kreatives Betätigungsfeld fanden, in dem sie eine relative Unabhängigkeit erreichen konnten. In der ersten Hälfte des 20.Jahrhunderts stellt die Psychoanalyse das bevorzugte Karrierefeld für Frauen dar, die jenseits traditioneller Rollenzuschreibungen nach Selbstverwirklichung suchten. (Stephan 1992:14f)

Diese Möglichkeit zur kreativen Betätigung und der Stellenwert, den die Theorie der weiblichen Sexualität, wenn auch in sehr systemimmanenter Form, in der psychoanalytischen Familie einnahm, dürfte die Psychoanalyse für Marie Langer so attraktiv gemacht haben. In der analytischen Bewegung konnten Frauen aber nicht nur kreativ tätig werden und wichtige Positionen in den Institutionen übernehmen, sondern auch theoretische Arbeit leisten, die durchaus auf Akzeptanz stießen, solange sie sich innerhalb der von Sigmund Freud und anderen Gründer/inne/n gesetzten Grenzen vollzog.

Marie Langer wählte in der ersten Phase ihrer Entwicklung als Frau jene beiden ideologischen und theoretischen Positionen, die ihr einerseits viele Handlungsmöglichkeiten eröffneten, aber anderseits auch das Problem der doppelten Illegalität ergaben, da sie sich im Wien der dreißiger Jahre sehr feindlich gegenüberstanden. Diese gegenseitige Feindseligkeit der beiden Bewegungen ermöglichten ihr aber auch ein pendeln, ein sich nicht festlegen müssen, denn sie wollte auf nichts verzichten. (Fassbind u.a. 1988:29) In Wien war Marie Langer noch auf der Suche nach einer sozialen Position und konnte diese für sich auch finden, nämlich in einer Mittlerinnenfunktion zwischen Sozialismus und Psychoanalyse, auch wenn sie dabei noch sehr auf freudschem Boden stand. Dies änderte sich erst in ihrer zweiten Entwicklungsphase, als sie Europa verließ, um nach Uruguay und dann nach Argentinien zu emigrieren. In Argentinien fand sie vollkommen andere Bedingungen vor, nicht nur was die Psychoanalyse, sondern auch was das politische und soziale System betraf. Während die Frauenbewegungen durch den Nationalsozialismus in Europa auf dem Rückzug waren, öffnete sich die argentinische Gesellschaft, die zwar noch von Männerbünden beherrscht wurde (Kirche, Militär), langsam den in die Institutionen drängenden Frauen. Es gab durchaus eine feministische und frauenbewegte Tradition in dem wohl europäischsten Land Lateinamerikas.

Ausgelöst wurde die feministische Bewegung Argentiniens durch die Einwanderungswelle im 19. Jahrhundert. Wie im Falle der Arbeiterbewegung kam es auch in der Frauenbewegung zur Übertragung europäischen Gedankengutes nach Argentinien. Cecilia Grierson und Carolina Muzzili setzten sich seit der Jahrhundertwende für feministische Forderungen ein. Während sich die bürgerlichen Frauen vor allem für die Zuerkennung bürgerlicher Rechte an die Frauen engagierten, beschränkten die Sozialistinnen ihr Engagement nach ihrer ideologischen Ausrichtung eher auf den arbeitsrechtlichen Bereich. Es gab jedoch auch Verbindendes wie die Frage der Prostitution oder den Kampf gegen sexuelle Gewalt an Frauen. Durch den Aufschwung der Industrie kam es zur großen Binnenwanderung in den dreißiger Jahren, die vor allem Frauen in die Großstadt brachte. Sie arbeiteten als Industriearbeiterinnen, Hausangestellte und Lehrerinnen im Großraum Buenos Aires. Jedoch handelte es sich nun nicht mehr um europäische Einwanderinnen sondern um Argentinierinnen: The urbanization process and urban structures proved to be important intervening variables, since urban areas offer different employment opportunities from rural ones, as to different urban structures. (...) Commerce seems to be the main activity chosen as an economic activity by young women in the most difficult stages of the life cycle (the period of marrying, childbearing and childreasing). Mature women who enter or re-enter the labour market have also chosen it, along with services and agriculture. (Recchini de Lattes 1983:73-75)

Von 1943-1955 bot der Peronismus den Frauen mit der von Eva Perón organisierten peronistischen Frauenpartei zahlreiche Möglichkeiten, sich zu engagieren und aktiv zu werden. Ein Teil der Anziehungskraft, die der Peronismus auf die Frauen im allgemeinen und auf Marie Langer im speziellen ausgeübt hatte, lag sicher in der Ausstrahlung Eva Peróns begründet, wobei nicht vergessen werden darf, daß die weitreichende Sozialgesetzgebung ein politisches Klima schuf, das es lateinamerikanischen Frauen erstmals in der Geschichte ermöglichte, an der politischen Meinungsbildung teilzunehmen. Das Wahlrecht wurde eingeführt, 1954 die Scheidung wieder legalisiert, eine eigene Frauenpartei gegründet, der Zugang zur Bildung (vor allem auch zu den Universitäten) verbessert und nicht zuletzt das Selbstwertgefühl der Frauen aufgewertet. Wesentlich scheint mir bezüglich der Situation der Frauen vor dem und während des Peronismus folgender Unterschied: vorher konnten sich bürgerliche Frauen, auch jene der Oberschicht, nur in sozialen Einrichtungen (z.B. Sociedad de Beneficiencia) oder eigenen Frauenorganisationen betätigen, waren aber vom guten Willen der Männer abhängig. Während des Peronismus gelang es ihnen, eine weitergehende Partizipation am politischen Leben zu erlangen. Nach dem Peronismus verloren die Frauenbewegungen jedoch wieder an Bedeutung und ihr Einfluß auf die politischen Organisationen nahm ab - trotz dem errungenen Wahlrecht. Dies ergab sich aus dem Umstand, daß in den folgenden Jahrzehnten oftmals die Militärs regierten, die als Männerbünde von jeher reaktionär und frauenfeindlich sind, so daß nur noch 1963, 1973 und 1983 demokratische Wahlen abgehalten wurden, denn die Diskontinuität des demokratischen Systems, die Verbote oder Behinderungen politischer Parteien führten offensichtlich gerade bei Frauen zu einem stärkeren Rückzug von der Parteipolitik. (Danzinger 1989:29)

Trotz dieser sozialen Behinderung von Frauen in späteren Jahren vollzog sich der Aufstieg der Psychoanalyse und Marie Langers berufliche Karriere in einem zumindest zu Beginn frauenfreundlicherem Klima als in jedem anderen lateinamerikanischen Land. Hinzu kam, daß Marie Langer nun nicht irgendeine unbedeutende, in Ausbildung stehende Psychoanalytikerin war, sondern aus der Wiener Vereinigung kam, bei Helene Deutsch, Lampl de Groot und Richard Sterba ihre Ausbildung absolviert hatte und damit auch als Frau einen wesentlich höheren Rang in der analytischen Familie Argentiniens einnahm als einige der Männer.

Eine weitere sehr wichtige Bedingung, die Argentinien von europäischen Verhältnissen unterschied, war die Orientierung der APA nach kleinianischen Modellen. Es gibt wohl auch hier mehrere Gründe, warum sich Marie Langer der kleinianischen Schule angeschlossen hat und warum die Konzepte Melanie Kleins für sie so interessant waren. Der bei oberflächlicher Betrachtung wohl offensichtlichste Grund liegt in der Tatsache, daß bei ihrer Ankunft in Buenos Aires die dort ansässige psychoanalytische Familie sich bereits sehr stark mit Melanie Kleins Theorien beschäftigte und es also für Marie Langer auch einer gewissen Anpassungslogik entsprach, sich dieser Konzepte zu bedienen: Wenn ich in Wien Klein gelesen hätte, hätte ich mich so blockiert, aber ich habe sie ja nicht gelesen. Und wenn mein Lehranalytiker mir gesagt hätte, jetzt gehen Sie in die Bibliothek und lesen den ganzen Freud und dazu gesagt hätte (...) lesen Sie nicht Melanie Klein, dann hätte ich sie nicht gelesen, schon weil ich genug mit soviel Bänden Freud hatte. In Argentinien war das genau umgekehrt. Da hat man mich empfangen: was weisst du von Melanie Klein? Also, das hat natürlich in meinen Augen einen enormen Einfluss. Und daher war ich nicht nur frei zu denken, sondern, wenn Ihr wollt, war es auch wieder eine Anpassung. Es war autorisiert kleinianisch zu denken. (Fassbind u.a. 1988:52)

Die Ideen Melanie Kleins wurden von Angel Garma, der bei Theodor Reik in Berlin seine Ausbildung gemacht hatte, durch seine Emigration (1938) nach Argentinien gebracht. Arminda Aberastury, die mit Pinchon Riviere zusammenlebte, nahm sich ihrer Schriften an und wollte sie ins Spanische übersetzen, weshalb sie sich an Marie Langer wandte, um ihre Mitarbeit zu gewinnen. Mit dieser Übersetzungsarbeit nahm diese ersten Kontakt mit kleinianischer Theorie auf und leistete so auch einen großen Beitrag zu ihrer Etablierung in der argentinischen psychoanalytischen Familie, die lange Zeit die einzige Gruppe war, die außerhalb Englands die Konzepte Melanie Kleins aufnahm. Marie Langer selbst bezeichnete sich jedoch nicht als Kleinianerin, da sie keine kleinianischen Analysen und Supervisionen durchführte.

Daran schließt der zweite Aspekt an, warum Marie Langer dennoch im Bezug auf die psychosexuelle Entwicklung der Frau auf die Theorien Melanie Kleins zurückgriff: weil ihre Sichtweise der weiblichen Psychologie sie überzeugte und Melanie Klein der Frau ihre Biologie zurückgab, die ihr Freud mit größter Nonchalance eigentlich weggenommen hat. (Langer 23/10/1985) Darüber hinaus machte ihr Melanie Klein im Bezug auf Frauen auch folgendes klar: So wie im Kapitalismus der Warenfetischismus verhindert, daß man sieht woher wirklich die Produktion kommt, man sieht, wer wirklich die Arbeit leistet, nämlich der Arbeiter; so verhindert der Phallozentrismus, indem er die Scheide als Wunde behandelt, die Anerkennung dessen, was dahinter steht, nämlich die Produktivität der menschlichen Rasse. (Langer 23/10/1985)

Der dritte und wohl auch persönlichste Grund liegt für mich in der Lebensgeschichte Melanie Kleins begründet, die aus eigener Kraft (mit einer Analyse bei Sandor Ferenczi) ihre vertrackte Ehesituation und Depression bewältigte und innerhalb weniger Jahre in den innersten Kreis um Sigmund Freud aufgenommen wurde. Es gelang ihr, sich innerhalb der psychoanalytischen Gründer/innenfamilie im Rahmen der freudschen theoretischen und technischen Konzeption zu einer der kreativsten und unabhängigsten Analytikerinnen der damaligen Zeit zu entwickeln und eine eigene Schule zu etablieren. Melanie Klein blieb in ihrer Auseinandersetzung mit Kindern, eine Lücke (abgesehen von Anna Freud) in der Frühzeit der analytischen Theoriebildung, jedoch nicht in der typischen Mutterrolle stecken, also im lediglich Persönlichen, sondern nützte den Vorsprung gegenüber anderen Analytiker/inne/n, der ihr aus der Tatsache erwuchs, daß sie eigene Kinder hatte, zur selbständigen Theoriebildung. Melanie Klein reihte sich nicht unauffällig in die ‚Schar’ der heute weitgehend vergessenen Tanten und Mütter ein, die, wie Jung Freud vorschwärmte, ‚eifrig damit beschäftigt sind, die Schritte des kindlichen Geistes zu beobachten und aufzuzeichnen‘, sondern trat daraus sehr bald selbstbewußt hervor. Sie definierte sich nicht als ‚Zulieferin‘, sondern sehr bald als eigenständige Frau. (...) Melanie Klein wußte diese Vorteile zu nutzen. In nur wenigen Jahren avancierte sie zu einer anerkannten Kapazität auf einem Gebiet, das von zentraler Bedeutung für die Konstituierung der Psychoanalyse wurde. Gerade die Tatsache, daß noch kaum methodische Vorgaben für die Arbeit mit Kindern existierten, erwies sich als große Chance: Anknüpfend an das kindliche Spiel entwickelte Melanie Klein die Technik der Spielanalyse, die als neue Verfahrensweise untrennbar mit ihrem Namen verbunden ist. (Stephan 1992:262-263)

Für Marie Langer, selbst Mutter von fünf Kindern, war in Melanie Kleins Leben vielleicht ein optimistischer, lebensbejahender Entwurf enthalten (wie schon bei den russischen Revolutionärinnen), der einer Frau auch als Mutter innerhalb ihrer beruflichen Karriere eine Verwirklichung ihrer Vorstellungen ermöglicht - selbst in einer von Männern dominierten Gesellschaft und Wissenschaft. Auch Marie Langer hat ja in Bezug zu institutionellen und machtpolitischen Fragen der Psychoanalyse und mit der analytischen Gruppentherapie sehr originelle und selbständige Modelle entwickelt, wenn es auch zu keiner unmittelbaren Schulengründung kam. Trotz Marie Langers Ankoppelung an die Theorien Melanie Kleins in der Frage der psychosexuellen Entwicklung der Frau, stellte sie die allgegenwärtige Präsenz der freudschen Theorie nicht in Frage (auch Melanie Klein tat dies nicht). Gleichzeitig mit der Verehrung Sigmund Freuds kommt es aber auch zur Relativierung ihrer eigenen Leistungen. Sigmund Freud bleibt bei ihr der wahre Gründer, der Animator, der Überlegene, sie wird im Vergleich mit ihm zur Schülerin: Wenn ich im vorhergehenden Kapitel die ‚phallozentrischen Irrtümer’ Freuds hervorgehoben und die Punkte benannt habe, in denen ich (...) mit seiner Theorie nicht einverstanden bin, scheint mir das etwas anmaßend. Es wirkt vielleicht etwas schäbig, denn trotz allem ist der von mir kritisierte Aspekt nebensächlich, und ich greife Freud mit seinen eigenen Waffen, nämlich mit der Forschungsmethode, die er allein entwickelt hat, an; (...) All das macht den Anspruch, einige Dinge treffender zu sehen, zu keinem allzu großen Verdienst. Freud hat uns jedoch selbst zu dieser Kritik animiert, so wie er neue Gesichtspunkte immer begrüßte. (Langer 1988:83)

In diesem Sinne würde ich Marie Langer als Freudianerin bezeichnen. Auch bei ihr ist die Wichtigkeit zu spüren, die eine Positionierung der eigenen theoretischen Konzepte innerhalb der freudschen Theorie einnimmt, und die bei allen Gründerinnen der Psychoanalyse von Bedeutung ist, was durchaus auf die streng nach hierarchischen Prinzipien ausgerichtete Gründungsgeschichte der Psychoanalyse verweist und die Arbeitsanteile der Gründerinnen (und nicht nur dieser) verdeckt, weil ihre Standpunkte immer nur in einer Auseinandersetzung mit und durch Sigmund Freud zustande kommen.

Doch zurück zu Melanie Klein, deren Konzepte auch bei der Entstehung von maternidad y sexo (1951), dem wohl bedeutendsten Buch in Marie Langers Karriere, eine große Rolle gespielt haben. Eine genauere Darstellung der kleinschen Konzeptionen über den Neid, den Ödipuskomplex und andere psychoanalytische Theoriebereiche würden den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Ich verweise daher nur auf die vor allem auch in der feministischen Forschung umfangreich vorhandene Literatur, die sich sehr kritisch mit der nicht unumstrittenen Rolle der Frau als Mutter in Melanie Kleins Konzepten auseinandersetzt. Einerseits schreibt Melanie Klein in ihren Grundlinien der weiblichen Sexualentwicklung ideologische Konstrukte von Weiblichkeit fort (...), wie sie sie bei Freud und Helene Deutsch vorfand, andererseits ist nicht zu übersehen, daß die Konstrukte bei ihr brüchig werden. Die Vorverlegung der ödipalen Phase in die Säuglingszeit und die Ablehnung einer masochistischen Grundstruktur des Weiblichen sind mehr als leichte Korrekturen an den Vorstellungen von Freud und Deutsch, sie rühren an die Grundvoraussetzungen des psychoanalytischen Diskurses über Weiblichkeit. Die partielle Übereinstimmung mit Karen Horney ist nicht zufällig. Und doch ist die Vorstellung von Weiblichkeit bei beiden Autorinnen völlig unterschiedlich: Das ideologiekritische Verfahren von Horney schafft Licht und strahlt Optimismus aus, Klein dagegen entwirft ein düsteres Szenario des Mangels und der Angst, in dem die Handlungsspielräume äußerst beschränkt sind. (Stephan 1992:273)

Marie Langer folgt zwar nicht dem düsteren Szenario von Melanie Klein, schließt sich aber ihren inhaltlichen Überlegungen zur psychosexuellen Entwicklung der Frau an. Jedoch ist es notwendig, um die Bedeutung von Marie Langers Buch Maternidad y sexo innerhalb weiblicher und feministischer Traditionen richtig einschätzen zu können, sich das Umfeld seiner Entstehung vor Augen zu führen. Heute Anfang der neunziger Jahre erscheint das Buch antiquiert, überholt und unbedeutend, vor allem nach den zahlreichen Publikationen zu den Themen Feminismus, Körperlichkeit und Psychoanalyse. Ingebor Fulde bringt das Problem präzise auf den Punkt: Der Bezug in diesem Buch auf die seinerzeit diskutierten anthropologischen Theorien von Margaret Mead und die von Marie Langer an den Anfang gestellte allgemeine Diskussion über soziale und kulturelle Einflüsse auf die moderne Frau mögen uns zwar heute vereinfacht und wissenschaftlich unscharf erscheinen, sind aber im Kontext der politischen Verhältnisse in Argentinien 1951 durchaus anders zu lesen. (Fulde 1988:12)

Zum Zeitpunkt des erstmaligen Erscheinens von maternidad y sexo 1951 gab es in Lateinamerika im allgemeinen und in Argentinien im speziellen kaum Arbeiten, die sich mit der Thematik Sexualität und Mutterschaft aus weiblich-psychoanalytischem Blickwinkel auseinandersetzten. Zwei Jahre zuvor war Simone de Beauvoirs Buch Le Deuxième Sex (1949) in Paris erschienen (das Marie Langer bei ihrer Arbeit noch nicht rezipiert haben konnte), das sich in sehr profunder und revolutionärer Weise mit der Frage des sozialen Geschlechts auseinandersetzte und damit den Grundstein für viele folgende Arbeiten legte. Marie Langers Buch kann aber nicht mit Simone de Beauvoirs Arbeit verglichen, oder an jenen der Feministinnen der sechziger und siebziger Jahre gemessen, sondern sollte eher als ein früher Versuch gewertet werden, sich mit den psychosomatischen Problemen von Frauen in Bezug auf ihre Sexualität und Mutterschaft auseinanderzusetzen. Und in dieser Hinsicht ist es eine sehr frühe und sehr bedeutende Arbeit, die ihren Weg nach Europa und Nordamerika sehr spät (Ende der achtziger Jahre) gefunden hat und damit für eine feministische Rezeption nicht mehr von Bedeutung war. Diese späte Aufnahme in Europa (Deutschland/Schweiz) liegt sicherlich in einer lateinamerikanischen Entwicklungsproblematik, die mit dem Schlagwort Zentrum-Peripherie umschrieben wird, wonach Arbeiten aus Lateinamerika (bei Marie Langer mit der doppelten Behinderung als Frau) einfach nicht wahrgenommen wurden, wozu sicherlich auch die Sprachbarriere verschärfend beitrug, da das Buch in Spanisch erschien.

Marie Langer versucht in maternidad y sexo eine Aufarbeitung der psychoanalytischen Vorstellungen, die zur psychosexuellen Entwicklung der Frau existierten, von Sigmund Freud über Karen Horney bis zu Melanie Klein und räumt dem Sozialen auch hier in der analytischen Tradition einen wesentlich höheren Stellenwert ein, als ihre Vorgänger/innen. Sie begreift die Frau als soziales Wesen mit biologischen Bedingungen, die sich vor allem in ihren sexuellen und, damit im Zusammenhang stehend, in ihren reproduktiven Fähigkeiten zeigen, die auch zu ihrer Unterwerfung und Unterdrückung führten. Sie zieht aber auch einen historischen Bogen, um dieses Soziale in die Diskussion einzubringen, auch wenn sie weit von einer Begrifflichkeit entfernt ist, die erst in den siebziger Jahren entwickelt wurde. Gleichzeitig benutzt sie den Kulturvergleich, um herauszufinden, was an dem, was wir als typisch weiblich bezeichnen, biologisch determiniert und was kulturell bedingt ist. (Langer 1988:28) Sie zieht vor allem Margaret Meads Untersuchungen bei den Arapesh und Abraham Kardiners auf den Marquesasinseln heran und kommt zu folgender These: Meine Hauptthese ist ja, daß die Frauen, da sie heute größere sexuelle Freiheiten genießen, nicht mehr an den typischen neurotischen Krankheitsbildern wie zum Beispiel der großen Hysterie leiden; da sie aber durch ihrerRolle und Funktion als Mütter eingeschränkt werden, leiden sie an psychosomatischen Störungen der Fortpflanzungsfunktionen. (Langer 1988:35) Diese Hauptthese führt mich zu zwei grundlegenden Problemen in Marie Langers Analyse: einerseits überbewertet sie trotz der Einbeziehung des sozialen Kontextes die biologischen Fähigkeiten der Frau, Mutter werden zu können, andererseits richtet sich ihre psychoanalytische Untersuchung allzusehr nach kleinianischen Konzepten, die trotz aller Fortschrittlichkeit die Frau doch wieder auf ihre traditionelle, mütterliche Rolle festlegten. Die Mutterschaft ist bei Marie Langer daher auch stark auf das Triebleben zurückgeführt und wird damit zum unausweichlichen Schicksal der Frau: Man kann nun einwenden, es gäbe doch viele Frauen, die auch als Nicht-Mütter glücklich und zu einem sexuell befriedigenden Leben fähig seien. Wie ich schon sagte, basiert dieses Glück oft auf einer Verdrängung des Konfliktes; in der Menopause, wenn die Frau feststellt, daß es zu spät ist, folgt die Depression. In anderen Fällen gelingt es der Frau, ohne Kinder glücklich zu sein, wenn sie eine Lebensform findet, die ihr eine befriedigende Sublimierung des Muttertriebes erlaubt. Psychologisch ist es oft gar nicht so wichtig, ob sie ihre Mutterschaft wirklich realisiert. Was zählt, ist ihre Fähigkeit, sie relativ frei von Konflikten zu akzeptieren. Selbst wenn sie ihren mütterlichen Trieb maximal sublimiert, hat die Frau, die nicht Mutter werden konnte, das Gefühl, als habe sie etwas Wesentliches, etwas, was zu ihr gehört, verpaßt. (Langer 1988:42)

So sehr Marie Langer zwar die Wirkung der sozialen Bedingungen auf die Frau in Bezug auf ihre Reproduktionsfähigkeit miteinbezieht, so wenig stellt sie sich aber die Frage, inwieweit dieses Gefühl etwas zu verpassen, nicht schon zu einem großen Teil eine soziale Überformung darstellt und daher ideologisch-patriarchal bestimmt ist. Die Überbewertung des Muttertriebes und die Wichtigkeit der potentiellen Mutterschaft in Marie Langers Aussagen hängen sicher mit den Bedingungen zusammen, in denen sie in Wien aufwuchs und mit jenen im Argentinien Mitte dieses Jahrhunderts, wo Kinderkriegen kein ideologisches Problem darstellte, denn es war selbstverständlich und wurde nicht, wie später in Europa, im Kontext einer patriarchalen Unterdrückungsstrategie gesehen. Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre sollte sich Marie Langer in ihrer Bewertung der Problematik, die aus der sozialen und biologischen Mutterschaft resultierte, den feministischen Überlegungen einer Juliett Mitchell oder Elisabeth Badinter zuwenden und für eine Reduzierung der Schuldgefühle eintreten, die die Gesellschaft den Frauen aufbürdete, falls diese sich dem Primat der biologischen Reproduktionsfähigkeit nicht unterwerfen, worauf ich an anderer Stelle noch näher eingehen werde.

Zuvor möchte ich aber noch einmal auf maternidad y sexo zurückkommen, das trotz aller Widersprüche ein durchaus bemerkens- und lesenswertes Buch ist, wenn es auch aus heutiger Sicht einige Defizite aufweist, wie Marie Langer dies selbst 1972 feststellt, wenn sie meint, daß es vor allem in Bezug auf das Ideologische, dem zu wenig Raum eingeräumt wurde, überarbeitet werden müßte: Für die Fragestellung, die uns hier interessiert, heißt das: Um von der heutigen Frau sprechen zu können, müssen wir sie als Angehörige einer bestimmten Klasse identifizieren und den historischen Moment, in dem wir leben, berücksichtigen. (Langer 1988:19)

Marie Langer versucht einen Bogen über die biologisch-psychische Entwicklung der Frau zu spannen, all jene Punkte aufzusuchen, die sie auch in ihrer gesellschaftlichen Präsenz bestimmen, von der Menstruation und Defloration, über Empfängnis, Schwangerschaft, Geburt und Stillen bis hin zum Klimakterium. Sie sucht Behinderungen und Störungen auf und erklärt einerseits mit historischen Vergleichen und andererseits mit psychoanalytischer Terminologie wie diese zustande kommen, um jene Verbindung zwischen dem Sozialen und Biologischen herzustellen, die ihr so am Herzen lag.

Doch gerade darin liegt, meiner Meinung nach, die größte Schwäche des Buches, denn an jenen Stellen, wo sie mit psychoanalytischen Fallstudien Erklärungsmodelle liefert, entstand bei mir eine gewisse Ohnmächtigkeit, die aus der Problematik resultierte, daß sie sich so in die psychoanalytische Terminologie verstrickte, daß die soziale und gesellschaftliche Dimension dahinter verschwand. Manchmal wurde ich den Eindruck nicht los, daß ihre Annahmen tatsächlich sehr theoretisch und wenig wahrscheinlich erschienen. (Langer 1988:81) Sobald Marie Langer in die psychoanalytische Sprache verfällt, geheimnisvolle Interpretationsarbeit vollbringt, verstrickt sie sich in eine abstrakte Welt, in eine Sprache, die nach Meinung von Simone de Beauvoir nahelegt, daß das Drama des Individuums sich in sich selbst vollzieht und wodurch die gesellschaftlichen Anteile oftmals verdeckt werden.

Im Kapitel über die Menstruation kommt sehr deutlich zum Ausdruck, wie schwer es für Marie Langer gewesen sein muß, die historische Analyse mit der psychoanalytischen Theorie in Einklang zu bringen und dabei auf dem Boden freudscher Theorieauslegung zu bleiben. Die Frau in ihrer mütterlichen Rolle bleibt bei ihr die einzige, die dem Kind das geben kann, was es für seine normale Entwicklung braucht, der Vater taucht erst sehr spät in der Erziehungsarbeit auf, dann aber immerhin doch in seiner realen Präsenz und nicht als bloßes Symbol. Die Mutter bleibt aber das Maß aller Dinge und damit sie dabei weiterhin in den ihr gesetzten, engen Grenzen der patriarchalen Gesellschaft verharren muß, wird das Kind durch die bürgerliche Ideologie zum König gekrönt, denn es ist zum kostbarsten aller Güter, zu einem unersetzlichen Wesen geworden. (Badinter 1984:165)

Obwohl Marie Langer in ihrer Untersuchung bestimmte systemimmanente Bedingungen der Mutterschaft nicht hinterfragt, muten doch einige Passagen des Buches sehr modern an und es entsteht beim Lesen der Kapitel über Schwangerschaft, Geburt und das Stillen (...) das Gefühl, an einer gegenwärtigen Diskussion über medizinische Technik und Entmündigung der Frau durch die moderne Geburtshilfe teilzunehmen. (Fulde 1988:12)

So wie die Schwäche der Untersuchung in der oft allzu psychoanalytischen Sprache liegt, kann ihre Stärke dort festgemacht werden, wo Marie Langer diese Sprache aufgibt und sich vor allem auf die Implikationen bezieht, die die biologische Präsenz der Frau in der Gesellschaft hat. Interessanter als maternidad y sexo sind in diesem Zusammenhang zwei psychoanalytische Fallstudien, die Marie Langer über historische Frauenfiguren erarbeitete: Eva Perón (1950) und Elisabeth I (1955). An Hand dieser beiden Frauen, die beide aktiv in die Politik als Herrschende eingriffen, Eva Perón auf einer informellen und Elisabeth I auf einer formellen Ebene, zeigt Marie Langer, daß das Ausblenden des spezifisch Weiblichen (im biologischen wie sozialen) Verwunderung und Unverständnis gerade bei Männern über weibliche Verhaltensweisen auslösen kann. Während bei der Untersuchung über Eva Perón die aus ihrem politischen Handeln resultierenden Mythen für Marie Langer interessant waren, beschäftigte sie bei Elisabeth I die Verweigerung von Ehe und Mutterschaft.


Ihre Beschäftigung mit Elisabeth I resultierte aus einer zufälligen Begegnung mit der Biographie von John Ernest Neale Königin Elisabeth (dt. aus dem Jahr 1936). Den Artikel Isabel I, reina de Inglaterra entwickelte sie aus einem Vortrag, den sie auf der Konferenz der Psychoanalytischen Vereinigung Argentiniens im September 1954 hielt, und ich denke, daß dieser Artikel die Geschichte Elisabeths von einer Position aus betrachtet, die für die damalige Zeit eher ungewöhnlich war. Marie Langer fand einen nichtmännlichen Zugang zu Elisabeth I. Immer wieder griff sie in ihrer Studie auf Erfahrungen von Frauen zurück und auf mögliche traumatische Erlebnisse in Elisabeths Kindheit und Jugend, im Zusammenhang mit Schwangerschaften und Geburten ihrer Mutter und Stiefmütter, also spezifisch weibliche Erfahrungen, die meist von Historikern (oft auch von Historikerinnen) aus ihren Analysen ausgeblendet werden, wodurch nicht selten falsche oder verzerrte Bilder von Frauenwirklichkeiten entstehen: Vielleicht lohnt es sich an dieser Stelle nochmals zu betonen, daß die psychologische Analyse Elisabeths - oder irgendeiner anderen historischen Persönlichkeit - nur ein Aspekt einer historischen Betrachtungsweise sein kann. (Langer 1987:85)

Vier Frauengestalten prägten Elisabeths Leben: Katherina von Aragon, erste Frau Heinrichs VIII; Anna Boleyn, Elisabeths Mutter, enthauptet, weil sie keinen männlichen Nachfolger zur Welt brachte; Katherina Parr, Stiefmutter, starb im Wochenbett; Maria, ihre Halbschwester, verelendete und ging zugrunde, weil sie keine Kinder bekommen konnte. Diese Erfahrungen aus der historischen Analyse auszublenden heißt, Elisabeths Erfahrungshorizont auf das rein politische zu beschränken. Als Katherina von Aragon in den Tower geworfen wurde, war Elisabeth zwei Jahre und acht Monate alt: Aus der Prinzessin (Elisabeth) wurde ein Bastard, den der König mit einer Dirne gezeugt hatte. Sie hatte über sich ergehen lassen müssen, wie ihre Mutter schwanger wurde, wie sie erniedrigt und umgebracht worden war, und sie ahnte, daß ihr allmächtiger Vater, der König, daran mitschuldig war. (Langer 1987:65)

Nachdem alle Versuche, an einen Thronfolger heranzukommen, gescheitert waren, folgte nach dem Tod Heinrichs VIII Maria auf denmenglischen Thron. Ihr Versuch, den katholischen Glauben wieder einzuführen, scheiterte. Aus all den negativen Erfahrungen, die Frauen vor ihr gemacht haben, zog Elisabeth die Konsequenz: sie wollte die anglikanische Ordnung wieder herstellen und nicht heiraten. Mit dieser Eheverweigerung war jedoch verbunden, sich Sexualität und Fruchtbarkeit zu verbieten. Liebesabenteuer kamen also erst in Frage, als die Gefahr der Empfängnis vorbei war. Auch ihre Auseinandersetzung mit Maria Stuart, Königin von Schottland, könnte unter diesem Aspekt gesehen werden. Maria Stuart galt als leichtfertig, eitel und repräsentierte für Elisabeth: Sexualität und Fruchtbarkeit. Dies sollte Maria zum Verhängnis werden. Auch Elisabeths letzte große Freundschaft zum Grafen von Essex endete in einer Katastrophe. Essex plante eine Verschwörung, scheiterte und wurde 1601 hingerichtet. 1603 starb Elisabeth, 68-jährig, nachdem sie Maria Stuarts Sohn James zum Nachfolger erklärt hatte und so Schottland und England zu einem Reich vereinte. Damit gelang es ihr, wie Marie Langer meint, Heinrich VIII (Vater) und Anna Boleyn (Mutter) zu versöhnen: Fünf Frauenleben haben Elisabeth nachhaltig geprägt. Alle kennzeichnet der Zwang zur Mutterschaft, die Angst, ein Kind mit dem falschen Geschlecht zu gebären, die damit einhergehenden Schuldgefühle, das Damoklesschwert des Todes, die Unmöglichkeit, ohne tödliche Folgen lieben zu dürfen. (...) Ihre erste Schuld war ihr Geschlecht. (Langer 1987:84)

Gerade in dieser Analyse zeigt sich viel deutlicher als in maternidad y sexo Marie Langers Feminismus, der in einer Untersuchung von sozialen und biologischen Einflüssen auf das Leben von Frauen bestand, um daraus Strategien zur Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse entwickeln zu können. Und dabei greift sie immer wieder auf Erfahrungen von Frauen zurück, um die Geschichte von Frauen verstehen zu können.


Auch bei ihrer Auseinandersetzung mit Eva Perón demonstriert sie ihren Zugang zu einer Geschichtsschreibung mit psychoanalytischen Mitteln. Da sich Marie Langer auf Grund ihrer exponierten Stellung in der analytischen Gemeinde - ihr Doktorinnentitel war noch nicht anerkannt - nicht öffentlich zu Eva Perón und dem Peronismus bekennen konnte, war sie gezwungen, ihre Sympathien 1950 in dem psychoanalytischen Artikel El mito del ‚niño asado‘ zum Ausdruck zu bringen. In dieser Darstellung geht es um die Manifestation von Ängsten und Befürchtungen einer Gruppe von Menschen in mythischen Geschichten, die ein neues Licht auf die Ressentiments der argentinischen Oligarchie gegenüber Eva Perón werfen und zeigen, wie Eva Perón zur Projektionsfigur des Hasses der einen und der Liebe der anderen wurde: Was ich zeigen will, ist, daß sich die Herkunft dieser beängstigenden Bilder und Phantasien, die die drei Mythen wiedergeben, aus den Projektionen der Bevölkerung erklären läßt. Evita Perón hat sich auf Grund ihrer Rolle besonders gut zur Projektionsfigur geeignet. Es hat von Eva Perón zwei Bilder gegeben, Evita, die Angebetete der peronistischen Massen, und Eva, die Frau mit der Peitsche, das Bild der Reichen. (Langer 1987:36)

Es sind mehrere Mythen, die Marie Langer vorstellt, die unter der Regierung des Peronismus erzählt wurden. Jene vom gebratenen Kind wurde vor allem im Sommer 1949 kolportiert: Das Dienstmädchen eines jungen Ehepaars bleibt alleine mit dem Kind zu Hause. Die Eltern gehen ins Kino. Als sie zurückkommen hat das Dienstmädchen ihr Kind gebraten und auf dem gedeckten Tisch feierlich angerichtet. Die Mutter verliert bei diesem Anblick den Verstand, der Vater bringt das Dienstmädchen um und verschwindet. Marie Langer meint, Eva Perón sei das Dienstmädchen, das Kind der Reichtum der argentinischen Oberschicht und die Eltern die verhaßte Oligarchie. Hinter dieser Erzählung verbirgt sich also die Angst, daß das bescheidene Mädchen aus der Unterschicht in Wahrheit grausam und pervers ist. Eva Perón, von der Oligarchie verachtet, wird sich eines Tages an dieser rächen. Da Kritik nicht möglich war, mußte sie sich über das Entstehen eines derartigen Mythos äußern. Je nachdem wie sich die politischen Verhältnisse im Land gestalteten, veränderten sich die erzählten Mythen. Für viele war Eva Perón die idealisierte Mutter, für die einen die gute, die alles gibt (im Rahmen der Wohlfahrtsorganisation), für andere die böse, die ihnen ihren Reichtum nimmt, die Oligarchie aussaugen will. Durch ihr Verhalten verstärkte Eva Perón dieses Bild: Wichtig ist, daß sie darin das Bild der Eva, der idealen Mutter schuf, einer Mutter, die voll Bewunderung und Liebe zu Perón, dem Vater aufschaut. (...) Sie erklärt, daß sie auf eigene Kinder nicht zu verzichten braucht, weil jeder ihr Kind sei und sie sich als die Mutter aller fühlte. (...) Damit hat sich Eva für die peronistischen Massen in die vollkommene, asexuelle Mutter verwandelt. (Langer 1987:38-39) Marie Langer meint, daß mit dieser Verwandlung in die asexuelle Mutter auch ihre Verwandlung von der prunksüchtigen, alles überstrahlenden Eva Perón zur schlichten und bescheidenen Evita vor sich ging.

Als Eva Perón todkrank war - die einen meinten, sie hätte Krebs, die anderen sprachen von Leukämie - entsteht in antiperonistischen Vierteln das Gerücht, den Kindern würde in den Krankenhäusern Blut abgenommen, um es Eva Perón zum Trinken zu geben. Ein weiterer Mythos verbreitete sich, als das makabere Schauspiel um ihren verschwundenen Sarg stattfand. Angeblich hätte es drei identische Särge gegeben, zwei wären in fremden Ländern vergraben, der dritte und echte sei im Río de la Plata versenkt worden. Marie Langer verweist hier auf den Mythos vom Rheingold mit den damit verbundenen märchenhaften Zügen. Die weite Verbreitung dieser Mythen in regionaler Hinsicht ebenso wie innerhalb der sozialen Schichten der argentinischen Gesellschaft zeigt, daß es einen gewissen Zusammenhang zwischen der politischen Situation und den in der Zeit entstehenden Mythen geben muß. Wie Eva Perón für manche eine Heilige war, stellte sie für ihre Gegner/innen das absolut Böse dar, und aus den verdrängten Schuldgefühlen der Menschen bzw. durch die autoritäre Repression des Regimes entstanden die Mythen um Eva Perón und die daraus resultierenden Mystifizierungen ihrer Person. Marie Langers Analyse liefert ein interessantes Erklärungsmodell für die unterschiedlichen, teilweise irrationalen Gefühle, die Eva Perón bei den Argentinier/inne/n ausgelöst hatte: Die Art und Weise, wie Juan Perón an die Macht kam, daß er sich zehn Jahre hat halten können und nach Evas Tod mit der Leichtigkeit eines Idols von seinem tönernen Sockel stürzte, das alles ist im wesentlichen auf sie zurückzuführen, das möchte ich betonen. Sie war der Motor seiner Macht, ein Teil von ihm. Da sie die Fähigkeit hatte, uralte Phantasien zu mobilisieren, übte sie auf alle eine magische Macht aus. Auf die einen, denen sie sich als äußeres Objekt für ihre Idealisierungen anbot, auf die anderen indem sie das Böse ist, die Spinne, die grausame Mutter, die aussaugt, kastriert und tötet. (Langer 1987:43-44)

Marie Langer lieferte mit ihrer psychoanalytischen Darstellung einen wesentlichen Schlüssel zum Verständnis des Mythos um Eva Perón. Sie machte Irrationales verständlich und ermöglichte eine entmythifizierte Sichtweise der Geschichte Eva Peróns, macht sie so für die historische Forschung wieder faßbar, reduziert ihre Leistungen auf ein irdisches Maß und die von ihr aufgestellten Forderungen bzw. gesetzten Handlungen werden dadurch sichtbar und nutzbar gemacht, weil sie ihre mythische Präsenz verloren haben. Diese Entmythifizierung war auch eine Vorraussetzung für Marie Langers eigene, ganz persönliche und sehr starke Identifikation mit der sozial engagierten Politikerin Eva Perón.

Durch eben diese Identifikation mit historischen Frauenfiguren (Alexandra Kollontai, Melanie Klein, Eva Perón), ihre Erfahrungen mit ihrem eigenen Status als Frau in der argentinischen Gesellschaft, ihre Auseinandersetzung mit Frauen und auch Männern in der psychoanalytischen und politischen Praxis und ihre Analysen zur weiblichen Psyche, Biologie und Geschichte kommt Marie Langer schließlich im Laufe ihres Lebens zu der hoffnungsvollen Ansicht, daß die gesellschaftliche Unterdrückung der Frau nur durch eine Neuorientierung bezüglich ihrer biologischen Bedingungen gefunden werden kann. Die Anerkennung der Tatsache, daß Frauen und Männer unterschiedlich sind und daher andere gesellschaftliche Bedingungen benötigen, um sich ihren Möglichkeiten entsprechend entfalten zu können, verweist auf ihre theoretischen Positionen, die sie in der Auseinandersetzung mit europäischen Feministinnen in den siebziger und achtziger Jahren einnahm: Wir müssen aber versuchen, unsere Töchter, die Mütter der kommenden Generationen, so zu erziehen, daß sie nicht an diesen Widersprüchen zu leiden haben. Sie sollen die Männer nicht darum beneiden müssen, daß ihr Weg so eindeutig vorgeschrieben ist. Das heißt, sie sollen allen Grund haben, darüber glücklich zu sein, daß sie Frauen sind. Sie werden ihre Weiblichkeit dann nicht ablehnen, wenn sie begreifen, daß sie sie genießen können, ohne daß sie auf andere Erfolge verzichten müssen. Die Frauen können genauso viel wie Männer hervorbringen, wenn auch viele ihrer Werke in mancher Hinsicht anders sind als die der Männer: sie sind nicht Sublimierungen des männlichen Sexualtriebes, sondern des weiblichen, und im besonderen des mütterlichen Triebes. (Langer 1988:358)


Während Marie Langer zwar auch in späteren Jahren den theoretischen Konzepten der Psychoanalyse treu blieb, änderten sich jedoch ihre Haltung gegenüber mancher der in maternidad y sexo vertretenen Positionen. Ich meine, daß die dritte Entwicklungsphase ihrer beruflichen Karriere wohl als durchaus feministisch bezeichnet werden kann. Mit ihren neuerlichen, intensiven Kontakten zu Sschweizer und deutschen Psychoanalytikerinnen Anfang der siebziger Jahre übernimmt sie Schritt für Schritt feministische Positionen betreffend die Kategorie soziales Geschlecht und auch ihre sehr deterministische und biologistische Einstellung zur Mutterschaft schwächt sich ab. So altmodisch und hölzern sie manche ihrer Ansichten zur Sexualität und Mutterschaft in maternidad y sexo formuliert, so vehement unterstützt sie in ihrer Autobiographie feministische Theoriebildung. Das Glück der Frau hängt nun nicht mehr nur von der positiven Sublimierung ihrer Mutterschaft ab, sondern die Gesellschaft wird von Marie Langer dafür verantwortlich gemacht, daß Frauen, die sich gegen die biologische Mutterschaft entscheiden, mit Schuldgefühlen belastet werden.

Marie Langer geht nach der Lektüre von Juliett Mitchells Buch Psychoanalyse und Feminismus (1985) zu Melanie Klein auf deutliche Distanz. Sie erkennt, daß die Konzepte der englischen Schule, bewußt oder unbewußt, zur Stabilisierung der mütterlichen Schuldgefühle der Frau beitrugen und sie wieder ans Haus fesselten, damit die Männer, aus dem Krieg zurückgekehrt, wieder ihre Arbeitsplätze einnehmen können: Zur gleichen Zeit entdecken in England Melanie Klein und Winnicott die enorme Bedeutung der ersten Mutter-Kind-Beziehung für die zukünftige psychische Gesundheit des Menschen. Ich zweifle weder an der guten Absicht dieser Forscher noch an der Bedeutung ihrer Entdeckungen. Aber wie die Wissenschaftler, die ebenfalls in der Nachkriegszeit die für die Schizophrenie verantwortliche Mutter ausgemacht hatten, unterstützten sie implizit, ohne es zu wollen oder zu wissen, jene Forschungsrichtungen, von denen in Maternitá e imperialismo die Rede ist; hier wird jene Ideologie beschrieben, welche die Arbeitermütter für den Hunger und den schlechten Gesundheitszustand ihrer Söhne und damit für den Niedergang des ganzen Imperiums verantwortlich gemacht hatte. (Langer 1986:268)

Wieder einmal geht es um die ideologische Position der Psychoanalyse und die Neutralität der Wissenschafter/innen. Und Marie Langer schließt sich auch hier der Auffassung einer Frau an, die sich kritisch mit den theoretischen Konzepten der Psychoanalyse auseinandersetzt, nämlich Elisabeth Badinter, die in ihrem Buch Die Mutterliebe (1984) zu niederschmetternden Ergebnissen bezüglich der Bedeutung von psychoanalytischen Konzepten für Mütter kommt. Elisabeth Badinter ist der Meinung, daß das analytische Konzept nur die Fortsetzung der bei Rousseau philosophisch begründeten Inferiorisierung der Frau darstellt, und für sie eine weitere biologische Unausweichlichkeit darstellt: nämlich Abnormität und Krankheit. Die Psychoanalyse legt zwar nicht nahe, daß die Mutter (...) allein für das Unbewußte ihres Kindes verantwortlich sei, aber dennoch erschien sie sehr bald (...) als die unmittelbare, wenn nicht die erste Ursache des psychischen Gleichgewichts des Kindes. (...) Damit nämlich eine Frau die von der Psychoanalyse gewünschte ‚gute Mutter‘ sein kann, sollte sie in ihrer Kindheit eine befriedigende sexuelle und psychologische Entwicklung durchgemacht haben, und zwar bei einer Mutter, die ihrerseits relativ ausgeglichen war. Ist eine Frau jedoch von einer gestörten Mutter erzogen worden, so wird sie ihre Weiblichkeit und ihre Mutterschaft sehr wahrscheinlich nur sehr schwer annehmen. Wenn sie selbst Mutter wird, wird sie, wie es heißt, die falschen Einstellungen, die ihre eigene Mutter zeigte reproduzieren. Die schlechte Mutter wird nicht mehr im moralischen Sinne persönlich verantwortlich, denn es mag eine Art von pathologischem Fluch auf ihr lasten. Sie ist vielmehr eine Mutter, die für die Übernahme ihrer Rolle ‚ungeeignet‘ ist, so etwas wie eine erblich ‚Kranke‘, obwohl die Gene damit nichts zu tun haben. (Badinter 1984:237)

Wie Badinter weist auch Marie Langer auf die besondere Rolle hin, die die Verpflichtung zu stillen in diesem Konzept einnimmt, wie das Ersetzen der männlichen Symbolik (Penis) durch eine weibliche (Brust) zum Maßstab der kindlichen Entwicklung gemacht und damit die Mutter in jenes moralische Dilemma gestürzt wird, das die Frau an ihre Kinder und das Haus kettet, da öffentliches Stillen moralisch verwerflich ist. Die Brust und mit ihr das Stillen werden also zum Prüfstein der normalen Mutter und damit auch zum Maßstab einer normalen kindlichen Entwicklung: Und dann müssen wir stillen (...) und ganz beim Kind dabei sein, das hat sich ein bisserl gelegt, aber in der Nachkriegszeit war da Klein, Winnicott, Spitz und alle haben uns erklärt, wenn was schiefgeht, daß die Mutter schuld ist, und daß die Mutter Jahre dem Kind widmen muß. (Langer 26/10/1984)

Marie Langer versuchte also in ihren späteren Jahren sehr häufig die soziale Komponente in ihre Überlegungen mit einzubeziehen und nähert sich so europäischen Positionen von Frauen an, deren Zielrichtung nicht nur die Kapitalismuskritik ist, sondern in deren Überlegungen vor allem die Patriarchatskritik eine große Rolle spielt. Marie Langer löst sich auch von dem psychoanalytischen Sprachgebrauch, den sie während ihrer Zeit in der APA und in maternidad y sexo noch verwendete und wendet sich eher der feministisch-historischen Kulturanalyse zu. Das es zwischen ihr und einigen deutschen bzw. Schweizer Analytikerinnen trotz ihrer Aufgeschlossenheit gegenüber neuen Theorieansätzen dennoch zu Mißverständnissen und zu Verständigungsproblemen kam, liegt vielleicht daran, daß Marie Langer aus einer anderen Zeit und einer anderen kulturellen Realität kam. Für sie blieb der Sozialismus das Ziel ihrer Überlegungen zur gesellschaftlichen Veränderung, und damit dieses Ziel erreicht werden kann, müsse gemeinsam mit den Genossen gekämpft werden, die die natürlichen Verbündeten in ihrem Kampf seien. (Langer 1986:275) Noch immer ist ihr die Parteidisziplin wichtiger als feministischer Kampf gegen das Patriarchat und gegen die Männer. Und diese Differenzen sind unausweichlich, wie Beate Koch schreibt: Unsere Frage nach möglichen Kosten der Anpassung an den Dienst an der Sache, nach institutionellen Mechanismen auch in der KP, bedeutet eine Störung, auf die Marie Langer rigider, stereotyper reagiert als wir erwartet hatten. (...) Erst als ich mich habe ärgern können, kommt auch noch ein anderes Gefühl auf, Traurigkeit. (...) Unser Wunsch Marie Langer an unserem Projekt noch zu beteiligen, mit ihr gemeinsam hinzusehen, erleidet hier besonders spürbar Schiffbruch: sie nimmt unsere Frage nicht auf. Sichtbar wird dafür die Differenz: Ungleichzeitigkeit, Verschiedenheit der Ausgangspunkte und der Standorte. (Fassbind u.a. 1988:41-42)

So sehr Marie Langer neuen Ideen aufgeschlossen war, so sehr sie die institutionelle Kritik gegenüber den analytischen Vereinigungen vollzog, so wenig konnte sie, weil sie eben noch immer Psychoanalytikerin war, die radikale Kritik von seiten der Feministinnen nachvollziehen, weil dies einer Infragestellung ihres gesamten Lebenswerkes gleichgekommen wäre. Für sie blieb die Psychoanalyse ein Moment der Befreiung und konnte von ihr daher nicht als Teil einer patriarchalen Unterdrückungssystematik wahrgenommen werden, von der die Psychoanalyse benutzt wird, bewußt oder unbewußt, um die Kolonisierung und Unterdrückung der Frau zu festigen, wie dies Inge Stephan feststellt, wenn sie von der kolonialen Problematik in der Psychoanalyse spricht, wo es nur um Landgewinnung geht, denn das Bild der Zuidersee steht für den Bereich des Unbewußten und Triebhaften, der mit dem Weiblichen assoziiert wird. Die Botschaft ist klar: Die Eindämmung des Meeres, das symbolisch für das Weibliche steht, ist Aufgabe männlicher Kulturarbeit. (Stephan 1992:11)

Trotz aller Traurigkeit, die bei jüngeren europäischen Frauen in Begegnung mit Marie Langer zurückbleibt, ist doch nicht zu übersehen, daß sie in ihrer Arbeit und in ihrer teilweise auch kompromißlosen Haltung ein Vorbild für diese Frauen war, weil sie eben anders war als deren Mütter und Großmütter. Für die Argentinierinnen und Lateinamerikanerinnen stellte sich das Problem von einer ganz anderen Warte aus, denn dort war Marie Langer auf Grund der noch unterprivilegierteren Position der Frau in den nach patriarchalen Mustern ausgerichteten lateinamerikanischen Gesellschaften eine symbolmächtige Figur. Dort war sie nicht nur eine linke Psychoanalytikerin, dort konnte sie zu einem Identifikationsmuster für Frauen werden, die sich aus den engen Grenzen der patriarchalen Gesellschaft und den damit verbundenen materiellen und sozialrechtlichen Abhängigkeiten befreien wollten. Wie sie sich damals die russischen Revolutionärinnen zum Vorbild nahm, konnte sie nun selbst zum Vorbild werden. Deshalb überwiegt in der Aussage über Marie Langers Engagement für die Befreiung der Frau bei der Argentinierin Sylvia Bermann auch nicht Traurigkeit, sondern Hoffnung: Das Leben von Marie Langer war ein ständiger Kampf für die Befreiung der Frau aus ihren äußeren und inneren Fesseln. Dabei beeinflußten sie, wie sie selbst bemerkte, die unvollendeten und frustrierten Persönlichkeiten von vielen ihrer Zeitgenossinnen, insbesondere ihre Mutter und ihre Schwester. Dieser Kampf verstärkte auch die Überzeugung, daß der so berühmte neue Mann eine neue Frau mit einschließt. Und das dies nicht nur einen fundamentalen Strukturwandel der Gesellschaft bezeichnet, sondern die bewußte Bestimmung einer anderen Einstellung, die die sexuellen und sozialen Tabus befreit, welche die Frau (und auch den Mann) unterdrücken und die den Hintergrund zahlreicher neurotischer Störungen bilden. (Bermann 1989:326-327) <Übersetzung durch den Autor>

Ich schließe mich der Meinung der argentinischen Psychoanalytikerin Sylvia Bermann an, denn Marie Langer hat mit ihrer Lebenslinie bewiesen, daß die engen gesellschaftlichen Grenzen, die das Patriarchat Frauen setzt, durchaus erweitert und manchmal auch gesprengt werden können.
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[Zitierte Literatur] | [Abkürzungsverzeichnis]

eingestellt: 18.7.2020 | zuletzt aktualisiert: 18.7.2020
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